Gute Frage, oder?

Bevor ich auf das Thema eingehe, werfe ich die Titelfrage einfach mal in den Raum: Darf man bei so viel Leid auf der Welt überhaupt noch glücklich sein? Ist es nicht unangemessen, sich des Lebens zu erfreuen, zu lachen und glücklich zu sein, wo doch so viel Schreckliches um uns herum passiert? Was würdest du spontan antworten, wenn dir jemand diese Fragen stellte?

Gar nicht so einfach, oder? Das finde ich auch. Tatsächlich wurden mir exakt diese Fragen neulich gestellt und ich merkte, wie mir dutzende verschiedene Ansätze und Argumente dazu in den Sinn kamen. Im Grunde sind es sogar zu viele, um sie in einem Blogartikel zusammenzufassen. Aber ich bin heute nicht hier, um endgültige Antworten auf diese schwierigen Fragen zu liefern. Meine Absicht ist viel eher, ein paar neue Perspektiven zu eröffnen. Ich denke, dass es da draußen sehr viele empathische Personen gibt, die bei ihrem Streben nach einer höheren Lebensqualität in Gewissenskonflikte geraten. Manchmal geht es mir sogar ähnlich. Ein Blick in die Tagesnachrichten reicht, um an unvorstellbar viel Leid erinnert zu werden. Wie geht man damit um?

 

Ein paar objektive Gedanken

Wie bei so ziemlich allem im Leben werden wir hier keine pauschalen Antworten finden, sondern uns ein eigenes Bild machen müssen. Um ein wenig Hilfestellung bei der Formung dieses Bildes zu geben, werde ich einfach ein paar objektive Gedanken teilen, die mir diesbezüglich durch den Kopf gehen.

Ganz offensichtlich ist es Heuchelei, grinsend durch das Leben zu gehen und so zu tun, als wäre alles ganz toll. Das ist nicht nur heutzutage so, sondern war schon immer so. Seit Menschengedenken gibt es Leid, Armut, Gewalt und Katastrophen. Deshalb haben sensible und empathische Menschen schon immer den sogenannten „Weltschmerz“ empfunden.
Falls du den Begriff noch nie gehört hast, kommt hier eine kurze Erklärung:

Einfach gesagt ist der Weltschmerz eine tiefe Traurigkeit darüber, dass die Welt ist wie sie ist. Wir alle haben eine idealisierte Vorstellung davon, wie eine unserer Meinung nach gute Welt sein könnte. Sobald die Erkenntnis einsetzt, dass die Welt nicht unserem Ideal entspricht, sondern ganz im Gegenteil sogar voller Leid und Probleme ist, löst das seelische Schmerzen in uns aus.
Der Begriff mag vielen noch nicht begegnet sein, doch das Prinzip dahinter ist für jeden empathischen Menschen ein alter Hut.

Lange Rede, kurzer Sinn: Probleme gab es schon immer. Weltschmerz gab es schon immer. Und je transparenter diese Welt wird, desto leichter wird es auch, Weltschmerz zu empfinden.

 

Die Welt ist ganz schön klein geworden

Dem Internet sei Dank ist die Welt ganz schön klein geworden. Vor 100 Jahren hättest du nur wenig davon mitbekommen, wenn es am anderen Ende der Welt eine Katastrophe gegeben hätte. Vor 1.000 Jahren hat man sich nicht einmal wirklich vorstellen können, wie das andere Ende der Welt wohl aussehen mochte.
Heute jedoch ist die Welt vernetzt. Fällt der metaphorische Sack Reis in China um, bekommst du eine Eilmeldung auf dein Smartphone. Das bedeutet auch, dass nicht nur Belanglosigkeiten, sondern auch knallernste Neuigkeiten dich in Windeseile erreichen. Es hat irgendwo ein Krieg begonnen? Du erfährst es sofort, inklusive aller grausamen Details und passendem Videomaterial. Es gibt irgendwo eine Umweltkatastrophe? Darüber wird sofort live berichtet. In der Politik geht es mal wieder wild her? Du kannst alle Konflikte live verfolgen, kein Problem.

Dank des Internets kannst du mit allen Herausforderungen und Problemen der ganzen Welt konfrontiert werden. Du kannst dein Smartphone und somit auch die Probleme der ganzen Welt mit auf Toilette nehmen, oder sogar in dein Bett. Deine kleine heile Welt wird von gigantischen Herausforderungen geflutet, denen du als einzelner Mensch nicht gewachsen bist. Eine schwierige Situation, oder?

Genau so – oder so ähnlich – geht es uns oft. Wir fühlen uns überfordert, machtlos und manchmal auch ängstlich. Darüber hinaus haben wir das schlechte Gewissen, um das es sich in diesem Artikel dreht. Es fühlt sich irgendwie falsch an, glücklich zu sein, während es andernorts so viel Leid gibt.

 

Ein paar (fast) unangenehme Tatsachen

Was ich im Folgenden schreiben werde, könnte an der ein oder anderen Stelle empathielos wirken. Deshalb möchte ich ganz klar betonen, dass ich lediglich ein paar objektive Gedanken zusammenfassen werde. Wir schalten unsere Gefühle für einen Moment aus und versuchen, sachlich zu sein.

Fakt ist, dass die Welt schon immer voller Leid, Herausforderungen und Probleme war. Der Punkt ist nur, dass wir – wie eben schon erläutert – heutzutage viel mehr davon mitbekommen. Seit es Menschen gibt, gibt es menschengemachte Probleme, Konflikte und Katastrophen. Und dennoch war es immer möglich, ein glückliches Leben zu führen. Warum solte das heutzutage anders sein?

Es ist nicht die Aufgabe eines Einzelnen, die Probleme dieser Welt zu lösen. Diese Erwartungshaltung wäre völlig unrealistisch und unfair. Faktisch gesehen kann ein Einzelner nicht alle Probleme lösen. Wir alle können lediglich unseren kleinen Beitrag zu einer friedlicheren, glücklicheren und unkomplizierteren Welt leisten.

Damit wir diesen positiven Beitrag leisten können, müssen wir stark, zuversichtlich, mutig, ausgeglichen und glücklich sein. Der Welt ist kein Stück weit geholfen, wenn wir depressiv und ängstlich sind. Es ist niemandem eine Hilfe, wenn wir uns verbieten, glücklich zu sein und das Leben zu genießen.

Als ich also neulich gefragt wurde: „Michael, darf ich trotz all des Leids auf der Welt glücklich sein?“, da antwortete ich nach kurzem Überlegen: „Du sollst sogar trotz all des Leids auf dieser Welt glücklich sein. Denn, was die Welt jetzt am dringendsten braucht, sind Menschen, die auch in der dunkelsten Stunde noch ein Licht sehen, an dem man sich erfreuen kann.“

Zusammengefasst heißt das: Empathie ist gut. Sehr gut sogar. Und es ist wunderbar, wenn wir achtsam sind und begreifen, was für ein Privileg es ist, in einer nicht perfekten Welt ein ausgeglichenes und glückliches Leben führen zu dürfen. Aber es ist weder der Welt noch irgendeinem anderen Menschen eine Hilfe, wenn wir uns jegliches Glück verbieten.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen viel Glück und Kraft für alles, was auch immer da noch auf uns zukommen mag.

 

Es ist schön, dass du dabei bist.
Michael

 

Titelbild: Unsplash.com, NASA