Jemals darüber nachgedacht?

In meiner Jugend war ich fasziniert von aufregenden Fantasiegeschichten, wie zum Beispiel „Der Herr der Ringe“. Daran gefielen mir nicht nur die Fantasiewelten und die Action, sondern auch die hervorragend geschriebenen Charaktere und Helden. Wenn man sich zum Beispiel die Welt anschaut, in der „Der Herr der Ringe“ spielt, stellt man schnell fest, dass die Zeit dort eine ganz andere Rolle spielt als in unserem Leben und Alltag.
Einige der Figuren dort sind mehrere tausend Jahre alt. Versuch dir mal den 12-Jährigen Michael vorzustellen, der beim Lesen mit offener Kinnlade auf seinem Bett sitzt, weil er gerade versucht zu begreifen, wie ein ewiges Leben wohl aussehen würde.

Auch heute frage ich mich das. Klar, ich habe mich seitdem verändert. Ich bin (hoffentlich) erwachsener geworden und die Kinnlade ist inzwischen geschlossen. Aber die Faszination hinter dem Gedanken ist geblieben. Wenn wir uns mit der Unsterblichkeit oder zumindest mit einem sehr langen Leben beschäftigen, fällt uns erst auf, wie kurz ein reguläres Menschenleben doch ist. Und es ist erstaunlich, wie sehr wir durch die verschiedenen Phasen des Lebens hetzen und ständig beschäftigt sind, um etwas zu „schaffen“. Was ich damit meine, wird hoffentlich im weiteren Verlauf offensichtlicher.

Wir hetzen von Station zu Station

In den ersten 10 Jahren unseres Lebens sind wir damit beschäftigt, im wahrsten Sinne die ersten Schritte zu unternehmen. Wir sind völlig hilflos und auf die Unterstützung anderer angewiesen. In diesem Zeitraum sind wir wie leere Leinwände, die durch ihre Umwelt geprägt und bemalt werden.

Im Alter von 11 bis 20 Jahren durchlaufen wir die Jugend. Wir sind damit beschäftigt, uns selbst zu finden und lernen, mit anderen zu interagieren. Außerdem bereiten wir uns auf das Erwachsenwerden vor.

Zwischen 21 und 30 Jahren sind wir schließlich junge Erwachsene. Wir genießen das Leben, machen erste ernsthafte Erfahrungen mit der Liebe und legen in der Regel auch den Grundstein für unsere berufliche Zukunft.

Dann, von 31 bis 40 wird es schließlich ernst. Wer bisher noch keinen Einstieg in die Berufswelt hatte, wird spätestens jetzt seine Chance bekommen. Für viele ist es auch die Zeit, eine Familie zu gründen und sesshaft zu werden. Es ist das Alter, in dem man bereits anfängt über seine Altersvorsorge nachzudenken. Und tatsächlich ist es auch ein Alter, in dem man bereits beginnt, seiner Jugend nachzutrauern.

Die Vierziger sind eine sehr wichtige und prägende Zeit. Viele sprechen von der „Blüte des Lebens“. In diesem Jahrzehnt erfreuen wir uns bereits über sehr viel Lebenserfahrung. Das gibt uns Stabilität. „Stabilität“ ist ein gutes Stichwort, denn auch in beruflicher, finanzieller und sozialer Hinsicht erlangen viele von uns in diesem Zeitraum zum ersten Mal Stabilität.
Darüber hinaus habe ich als Coach und Berater die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen in den Vierzigern anfangen, sich, ihren Lebensweg und ihre bisherigen Entscheidungen zu hinterfragen. Es ist die Zeit, in der man das bisher Erlebte auswertet und sich Gedanken über die weitere Zukunft macht.

Ab den Fünfzigern wird es schwieriger, allgemeine Aussagen zu treffen. Sie fallen je nach Person sehr unterschiedlich aus. Ich erlebe Menschen in ihren Fünfzigern, die anfangen zu entschleunigen und das Leben zu genießen. Genauso erlebe ich Menschen dieser Altersklasse, die gerade jetzt erst durchstarten. Entweder, um so richtig Karriere zu machen oder, um ihre Altersvorsorge zu sichern.

Genauso unterschiedlich wird es dann auch ab den Sechzigern. Sie können so vieles für uns sein: Entschleunigung, Abenteuer, das Ende einer langen Karriere, der Kampf um die Existenz nach dem Arbeitsleben, ein zweiter Frühling, oder auch der Beginn eines bewussten Alterungsprozesses. Ein befreundeter Psychologe sagte mir mal: „Ich glaube, mit dem Eintritt ins Rentenalter wird den meisten klar, dass sich noch einmal so richtig etwas im Leben verändert.“

Was nach dieser großen Veränderung geschieht, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Es beginnt „Der Lebensabend“, dessen Verlauf, Länge und Qualität nicht allgemein spezifiziert werden kann.

Jetzt kommt die große Frage: Warum sage ich das? Warum habe ich diese „Stationen“ aufgelistet? Ganz einfach: Weil es unglaublich ist, wie schnell, simpel und pauschal sich das Leben der meisten Menschen erzählen lässt. Weil es einfach unfassbar ist, wie ähnlich all diese Stationen und Zeitfenster für die meisten von uns ablaufen. Warum tun wir das eigentlich? Höchstwahrscheinlich, weil es für uns „Sinn“ ergibt. Weil so das „System“ funktioniert, in dem wir leben. Weil es unsere Art und Weise ist, das Beste aus unserer gegebenen Zeit zu machen.

(Eine kleine Notiz am Rande: Was ich hier beschreibe, setzt natürlich einen gesunden Verlauf des Lebens voraus, der nicht frühzeitig durch Unfall oder Krankheit beendet wird.)

Die Endlichkeit ist überall

Das bedeutet also auch, dass uns die Endlichkeit des Lebens stets bewusst ist. Vielleicht denken wir nur selten aktiv darüber nach, doch dieser Grundgedanke ist tief in unserem Unterbewusstsein verankert. Wir wollen stets etwas „schaffen“, bevor es zu spät ist.

Im Grunde geht es im Leben darum, etwas aufzubauen und dann wieder zu entschleunigen, bevor alles vorbei ist. Was für ein verrückter Gedanke, oder?

Und hier kommt meine Überlegung der Unendlichkeit ins Spiel: Wie würde sich unser Leben ändern, wenn wir unsterblich wären? Wenn Zeit einfach keine Rolle spielen würde, was würdest du anders machen?

Ich persönlich glaube, dass wir uns sehr viel mehr Zeit zum Erwachsenwerden nehmen würden. Wir würden in Ruhe lernen, wachsen und reifen. Womöglich würden wir viel reisen, um die Welt zu sehen und sie besser zu verstehen. Wir könnten uns ja so richtig Zeit dafür nehmen.
Insgesamt würde Geld auch eine deutlich untergeordnetere Rolle spielen. Ich glaube, mehr Lebenszeit würde uns die Dringlichkeit nehmen, Geld zu verdienen und Karriere zu machen. Ich persönlich würde mir wegen finanzieller Stabilität sehr viel weniger Stress machen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Stell dir mal vor, wir alle hätten mindestens 2.000 Jahre für dieses Leben zur Verfügung. Glaubst du, das Leben eines Menschen ließe sich dann noch so pauschal zusammenfassen? Glaubst du, wir würden von Lebensstation zu Lebensstation hetzen? Glaubst, wir alle würden dasselbe tun?
Ich denke, dass ein Menschenleben viel individueller wäre, wenn es eine höhere Dauer hätte. Jeder würde tun, wonach ihm der Sinn steht. Kaum jemand würde das tun, was das „System“ uns als die beste Option für unsere kurze Lebensdauer vorschlägt.

Was denkst du, was sich durch die Unsterblichkeit noch verändern würde? Welchen Einfluss hätte das auf dein Leben?

Neulich war ich in ein interessantes Gespräch verwickelt, in dem es um genau dieses Thema ging. Ich war erstaunt, wie viele verschiedene Ideen, Meinungen und Perspektiven dabei zusammenkamen. Es ist faszinierend, wie unterschiedlich wir mit der Unsterblichkeit umgehen würden. Deshalb wollte ich den Gedanken auch einfach mal an meine Leserinnen und Leser weitergeben.

In der Hoffnung, den ein oder anderen inspirierenden Gedanken ausgelöst zu haben, wünsche ich dir einen wunderbaren Tag!

 

Es ist schön, dass du dabei bist.
Michael

 

 

Titelbild: Unsplash.com, Mike Enerio