Jemand, auf den du dich immer verlassen kannst…

Neulich führte ich ein sehr interessantes Gespräch über Einsamkeit und ihre Wirkung auf unsere Psyche. Dabei musste ich mich unweigerlich an sehr einsame Phasen meines eigenen Lebens erinnern.

Ich würde von mir behaupten, etwas von Einsamkeit und tiefer Stille zu verstehen. Es gab Phasen, in denen ich tagelang nicht gesprochen habe. Gar nicht. Mit niemandem. Sobald ich dann wieder etwas sagte, erschrak ich vom Klang meiner eigenen Stimme. Es gab Phasen, in denen ich so lange nicht gelacht hatte, dass ich, wenn ich dann doch mal wieder lächeln musste, erstaunt feststellte, wie meine Wangenmuskulatur wehtat. Ich erinnere mich an lange, stille Arbeitstage in meinem ersten Büro. Keine Mitarbeiter, keine Besucher, keine Telefonate. Kein Radio, keine Musik. Nur ich, meine Arbeit und die Stille.

Wenn ich anderen von diesen Zeiten erzähle, zeigen sie viel Mitgefühl und manchmal auch etwas Mitleid. Das ist zwar sehr freundlich und beweist auch Empathie, aber dennoch muss ich dann immer lächeln. Denn die Wahrheit ist, dass ich nicht voller Traurigkeit zurückdenke. Offen gesagt waren diese Zeiten sehr wertvoll, denn sie haben dazu geführt, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich mit mir selbst beschäftigt habe. Und es waren diese Zeiten, in denen ich anfing mich zu akzeptieren und Freundschaft mit mir schloss.

 

Macht Alleinsein einsam?

Machen wir uns nichts vor, der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir brauchen unsere Mitmenschen und schätzen ein gesundes Miteinander. Allerdings finde ich es schade, dass wir das Alleinsein und die Einsamkeit stets als etwas Schlechtes und Schädliches darstellen. In vielen Fällen sehe ich das sogar als Notwendigkeit für den Aufbau von Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und einem gesunden Selbstwertgefühl.

Allein zu sein bedeutet, niemanden um sich herum zu haben. Einsamkeit bedeutet, sich niemandem zugehörig zu fühlen. Man kann sich auch dann einsam fühlen, wenn man von 100 Menschen umgeben ist, die einen einfach nicht verstehen und zu denen man keinen Draht hat. Somit ist die bloße Anwesenheit unserer Mitmenschen kein wirksamer Schutz gegen Einsamkeit.

Genauso bin ich davon überzeugt, dass man sich nicht einsam fühlen muss, wenn man gerade niemanden in seiner Nähe hat. Schließlich haben wir immer uns selbst. Wir sind selbst dabei, wenn wir die schwierigsten Talsohlen durchqueren. Wir sind über unsere Ängste und Sorgen im Bilde, wenn wir abends den Kopf aufs Kissen legen und an den nächsten Tag denken. Und genauso sind wir selbst dabei, wenn wir aus den größten Niederlagen einen Sieg machen oder über uns hinauswachsen.

Warum fällt es uns nur so schwer, uns selbst als besten Freund, bzw. beste Freundin zu akzeptieren? Ist es wirklich sinnvoll, sich mit Menschen zu umgeben, die einen unglücklich machen, nur um sich nicht allein oder einsam zu fühlen? Vielleicht weißt du, wie dieses Verhalten im Alltag aussieht:

  • Man lässt sich auf eine Romanze mit jemandem ein, obwohl man genau weiß, dass sie keine Zukunft hat.
  • Man toleriert das toxische Verhalten unsympathischer Mitmenschen, weil man Angst hat, sie zu verlieren und am Ende allein dazustehen.
  • Man zwingt sich dazu, an sozialen Konventionen teilzunehmen, an denen man eigentlich kein Interesse hat, um „normal“ zu sein und „dazuzugehören“.

Mit all diesen Verhaltensweisen schwächen wir unser Selbstwertgefühl. Das Selbstwertgefühl der Person, die immer bei uns ist. Das Selbstwertgefühl der Person, die für uns die höchste Priorität haben sollte. Ist das die Sache wert?

Einsamkeit ist eine innere Leere, die nicht nur durch die richtigen Mitmenschen gefüllt werden kann. Wir können diese Leere auch selbst füllen, wenn wir Freundschaft mit uns schließen und in uns selbst einen wunderbaren, liebenswürdigen Menschen erkennen. Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl und Selbstakzeptanz sind höchst erstrebenswert, um uns erkennen zu lassen, wie kostbar die Freundschaft mit sich selbst ist.

 

Freundschaft in sich finden

Im Folgenden möchte ich dir drei sehr simple und praxiserprobte Möglichkeiten aufzeigen, die dir dabei helfen, wahre Freundschaft in dir zu entdecken. Wenn du sie wirklich ausprobierst und dabei Erfolgserlebnisse hast, wirst du einen geringeren Drang verspüren, deine Einsamkeit mit beliebigen Menschen zu kompensieren. Vielleicht wirst du sogar öfter Lust darauf bekommen, allein und einfach nur für dich zu sein. Im Laufe der Jahre habe ich das Alleinsein oft „die Königsdisziplin der Persönlichkeitsentwicklung“ genannt. Sie kann süchtig machen. In sich selbst und in der Stille gibt es sehr viel zu entdecken. „Stille“ – ein gutes Stichwort für den ersten Hinweis, wo du wahre Freundschaft findest.

 

1. Stille

Klingt banal, ist es aber nicht. Tatsächlich gehen die meisten von uns der Stille aus dem Weg. Wann war es zuletzt so richtig still um dich herum? Wann war es zuletzt so richtig still in deinen Gedanken? Wann war es zuletzt so ruhig in deinem Zuhause, dass du die Uhr ticken hören konntest? Wann warst du zuletzt komplett ohne Ablenkung? Kein Fernseher, kein Radio, kein Smartphone. Wann hast du zuletzt einfach mal „nichts“ getan und das Nichtstun genossen, ohne dich unproduktiv zu fühlen?

Der vielleicht schwierigste Weg, den wir im Leben gehen, ist gleichzeitig auch der kürzeste. Es ist der Weg in uns selbst. Und dieser führt über Stille. In der Stille tauchen die Gedanken und Erinnerungen auf, die wir im Alltag verdrängen. In ihr tauchen all die Unsicherheiten auf. All die Unzufriedenheiten. Aber weißt du, was du dort ebenfalls findest? Ruhe und Frieden. Eine Entschleunigung, die niemand dir geben kann. Eine mentale Klarheit, die wir im lauten Alltag schon gar nicht mehr kennen. Und vor allem finden wir die Möglichkeit, in den Dialog mit uns selbst zu gehen und endlich (!) herauszufinden, was wir selbst vom Leben wollen, anstatt es immer nur den anderen recht zu machen.

 

2. Allein etwas unternehmen

Wann bist du zuletzt allein in ein Restaurant gegangen? Oder in eine Bar? Oder allein ins Kino? Die bloße Vorstellung fühlt sich komisch an, oder? Was sollen denn bloß die anderen denken? Es gibt einfach Dinge, die man nicht allein unternehmen sollte. Oder vielleicht doch?

Probier doch einfach mal aus, etwas Schönes mit dir selbst zu unternehmen. Wie wäre es mit einem Filmabend, den du so vorbereitest, als würdest du Gäste erwarten? Ich rede davon, eine Pizza zu bestellen, leckere Snacks vorzubereiten und einen erstklassigen Film auszuleihen, anstatt sich einsam und unglücklich eine Tüte Chips vor irgendeinem beliebigen Abendprogramm reinzuziehen.

Lade dich nach einem langen Tag selbst zum Abendessen ein, geh ins Kino, spiele eine Runde Minigolf, mache einen ausgiebigen Spaziergang, zieh ein paar Bahnen in einer Schwimmhalle deiner Wahl oder geh tanzen. Sobald du dich auf den Spaß fokussierst und die gefürchtete Verurteilung durch andere (welche in Wahrheit vermutlich gar nicht stattfindet) ausblendest, wirst du dabei eine wunderbare Zeit haben. Ganz sicher!

 

3. Hab Erfolgserlebnisse. Nur für dich.

Beginne Projekte, von denen niemand außer dir etwas weiß. Wenn du zum Beispiel vorhast, körperlich fitter zu werden und dein Erscheinungsbild zu verändern, dann erzähle niemandem davon. Mache dein Training und deine Ernährung zum Geheimprojekt. Geheimnisse und Projekte können Menschen eng miteinander verbinden. Bei uns selbst funktioniert das ebenfalls. Stell dir vor, du hättest niemanden außer dir selbst, auf den du dich verlassen kannst. Arbeite in der Stille und lass den Erfolg deine Stimme sein. Schocke und überrasche den Rest der Welt mit deiner Tatkraft.

Schreib ein Buch, aber sag es niemandem. Schenke es deinen Mitmenschen, sobald es fertig ist und lass sie vor Überraschung aus den Socken springen.

Lerne ein Instrument oder eine neue Sprache, ohne es irgendjemandem zu verraten. Bilde dich für dich weiter. Nicht, um andere zu beeindrucken, sondern um dich und deine Fähigkeiten zu erweitern.

In der Stille lernen wir Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Und auch das kann süchtig machen. Es tut gut, Dinge aus eigener Kraft zu schaffen. Es fördert einen Stolz und eine Selbstachtung, die wir niemals erfahren können, solange wir unser Selbstbild von der Meinung unserer Mitmenschen abhängig machen. Wenn du herausfinden möchtest, wie sich das anfühlt, dann finde Projekte, an denen nur du arbeitest und bei denen du dich voll und ganz auf dich verlassen kannst.

 

Wahre Zufriedenheit

Wenn du in den Spiegel blickst und darin einen echten Freund, bzw. eine echte Freundin erkennst, dann weißt du, dass du zu dir gefunden hast. Es ist ein Gefühl, das dich über dein äußeres Erscheinungsbild hinwegsehen lässt. Ein Gefühl, das dich vergessen lässt, was die anderen über dich denken könnten oder nicht. Ein Gefühl, das dir Appetit auf das Leben vermittelt.

Zum Schluss möchte ich noch ein paar ehrliche und von Herzen kommende Worte äußern: Allein zu sein und die Einsamkeit zu überwinden, wird in diesem Beitrag von mir als wundervoller Prozess dargestellt. Es ist ja auch ein wunderbarer Prozess. Aber er ist nicht leicht. Es ist ein langer Weg, auf dem wir zahlreiche innere Hürden überwinden. Ein Weg, auf dem wir uns mit emotionalen Wunden und Unsicherheiten auseinandersetzen müssen. Ein Weg, auf dem wir uns selbst immer wieder infrage stellen. Doch ich versichere dir, dass dieser Weg sich lohnt.

Heute blicke ich mit einem Lächeln zurück. Doch wenn ich ehrlich bin, habe ich diesen Prozess damals nicht immer genossen. Ich war nicht einsam, weil ich es mir so ausgesucht hätte. Ich war einsam, weil ich schlicht und einfach emotional so kaputt war, dass ich die Gesellschaft meiner Mitmenschen nicht ertragen konnte. Und ständig stellt man sich die Frage: „Was stimmt eigentlich nicht mit mir?“

Doch irgendwann, tief in der Stille, findet man einen Freund, der alle Tränen trocknet. Einen Freund, der beim Heilen der Wunden hilft und uns das Gefühl gibt, völlig in Ordnung zu sein, so wie man ist. Ich bin froh, diesen Freund gefunden zu haben. Und offen gesagt glaube ich, dass ich nur deshalb heute ein Freund für so viele andere sein kann.

Also trau dich, den schwierigen Weg zu gehen. Dabei wirst du früher oder später Wunderbares entdecken, das nur eine einzige Person auf der Welt dir geben kann: Du selbst.

Es ist schön, dass du dabei bist.
Michael

 

 

Titelbild: Unsplash.com, Michael Fenton