Einer muss es ja mal sagen…

Neulich sah ich auf Instagram einen Beitrag über Scheidungen in Deutschland. Es ging darum, wie Erwachsene und Kinder im Allgemeinen mit dieser lebensverändernden Situation umgehen. Bemerkenswert war jedoch nicht der Beitrag selbst, sondern die Kommentare darunter. Die Kommentierenden waren empört und machtem dem Verfasser schwere Vorwürfe. Es fiel mir schwer, so recht zu verstehen, worin das Problem lag. Ich sah mir den Beitrag erneut an. Er war gut recherchiert und fasste das Wesentliche kurz und informativ zusammen. Also kehrte ich zur Kommentarspalte zurück, um die Empörung nachvollziehen zu können. Schnell wurde mir klar, was Sache war: Die Leute beschwerten sich nicht über die Qualität des Beitrags, sondern darüber, dass es keine „Triggerwarnung“ gab. Mit anderen Worten: Am Anfang des Beitrags hatte es keine explizite Warnung davor gegeben, dass es im Folgenden um das Thema „Scheidung“ gehen würde.

Das lasse ich jetzt einfach mal so für ein paar Momente im Raum stehen. Was denkst du darüber? Findest du den Wunsch nach einer Vorwarnung vor einem solchen Thema gerechtfertigt oder unnötig?

Vielleicht ist es hilfreich, wenn ich noch ein paar Beispiele und Beobachtungen ergänze: Es gehört inzwischen zum Alltag, dass man unter sämtlichen Beiträgen der Nachrichten Aufforderungen zu mehr Triggerwarnungen findet. Schließlich befassen sich die Tagesnachrichten mit belastenden Meldungen.
In einer Survival-Sendung sah ich neulich eine Triggerwarnung, in der davor gewarnt wurde, dass in der nächsten Szene Blut zu sehen sein würde. Wie sich herausstellte, hatte sich jemand am Strand oberflächlich in den Finger geschnitten, und es waren ein paar Tropfen Blut ausgetreten. Die entsprechenden Stellen waren in der Aufnahme verpixelt worden.

Auch ich habe inzwischen meine ersten Erfahrungen mit Forderungen nach Triggerwarnungen machen dürfen. In einem Video, das ich auf YouTube veröffentlichte, habe ich aus komödiantischen Gründen eine Salzstange gegessen, um mich symbolisch zu stärken, bevor ich einen komplexen Sachverhalt über das Selbstbewusstsein erklärte. Ich gebe zu, dass es insgesamt wenige Menschen waren, die mich dafür kritisierten, doch es waren deutlich mehr, als ich jemals für möglich gehalten hätte. Einer forderte mich sogar auf, das Video zu löschen. Andere erlaubten mir großzügigerweise, das Video online zu lassen, sofern ich eine Triggerwarnung hinzufügen würde.
Jetzt fragst du dich vielleicht, was ich falsch gemacht habe. Nun, ich habe eine Salzstange gegessen, und das hat Knuspergeräusche erzeugt. Und nein, ich habe nicht mit offenem Mund gekaut oder geschmatzt. Die Salzstange hat einfach geknuspert, und das löst bei manchen Personen einen sogenannten „Misophonie Trigger“ aus. Misophonie ist eine Intoleranz gegen bestimmte Alltagsgeräusche, wie z.B. Essgeräusche.

Ebenfalls wurde ich bereits für das Tragen eines schwarzen Hemdes kritisiert, was angeblich eine „morbide Stimmung“ auslöst. Es gab bereits Empörungen darüber, dass mein Kameramann mich während der Autofahrt gefilmt hat, ohne dass es Triggerwarnungen gab. Schließlich gibt es da draußen Menschen, die mit dem Autofahren traumatische Erlebnisse verbinden. Und dann wären da noch die zahlreichen Beschwerden darüber, dass die Themen der Persönlichkeitsentwicklung Unwohlsein auslösen könnten.

 

Wie vorsichtig müssen wir sein?

Ich bin bekannt dafür, sehr offen und tolerant zu sein. Es ist Teil meines Wesens und meines Berufs, die Sichtweisen meiner Mitmenschen nachzuvollziehen und Verständnis zu zeigen. In diesem Fall muss ich mir jedoch an die Stirn fassen und Seufzer der Verzweiflung ausstoßen. Warum das so ist, kann ich in fünf einfachen Worten zusammenfassen:

Das Leben gibt keine Triggerwarnungen.

Vor jeder negativen, erschreckenden, demotivierenden oder gar traumatisierenden Erfahrung meines Lebens gab es keine Triggerwarnung. Und ich gehe einfach mal ganz stark davon aus, dass das bei dir nicht anders ist. Das Schicksal macht keine Termine, bevor es an deine Tür klopft. Es befürchtet nicht, irgendwelche negativen Empfindungen in dir zu wecken. Es schlägt einfach zu, wenn der Zeitpunkt reif ist.

Was würde eine Vorwarnung auch nützen? Ist der Sinn und Zweck der Konfrontation mit dem Lauf der Dinge nicht, dass wir lernen und wachsen? Ist es nicht Sinn der Sache, dass wir stärker werden und eine Lektion lernen?

Würde das Leben Triggerwarnungen vergeben, würden wir vor unseren Herausforderungen davonlaufen. Wir würden nicht lernen, nicht wachsen, nicht besser werden.

Stell dir mal vor, das Leben würde uns ständig warnen, bevor etwas Herausforderndes geschieht. Wir würden uns daran gewöhnen und völlig vergessen, wie wichtig es ist, stets vorbereitet und gefestigt zu sein. Nicht zu wissen, wann das Leben uns überrascht, macht uns stark. Es gibt uns Wertschätzung und zeigt uns, dass wir das Leben umso mehr genießen müssen, solange es gut für uns läuft.

Und jetzt mal ganz ehrlich: Was geschehen muss, geschieht sowieso. Sich kurz vorher mental darauf vorbereiten zu können, ist ein Luxus, den das Leben uns nicht gewährt. Wir sollten einfach so stark sein, dass wir immer mental vorbereitet sind. Und zwar auf alles.

 

Erwarte nichts

Ich kann reinen Herzens sagen, dass ich schon den ein oder anderen Tiefpunkt erreicht habe. Es gab Momente, in denen ich so von Ängsten, seelischem Schmerz, Einsamkeit, Depressionen und Hoffnungslosigkeit zerfressen war, dass ich mir nicht vorstellen konnte, auch nur einen einzigen weiteren Tag zu leben. Und dennoch habe ich niemals Rücksicht oder besonderes Verständnis von anderen erwartet. Allein schon deshalb, weil es niemanden gab, der Rücksicht hätte nehmen können. Heute bin ich dankbar dafür. Es gibt halt Lektionen, die man nur auf die harte Tour lernt. Das gehört zum Leben dazu.

Vermutlich ist das einer der Hauptgründe dafür, warum ich Autor und Berater geworden bin. Ich habe gelernt, Tiefpunkte mithilfe von Eigenverantwortung zu überwinden. Nur, weil ich das geschafft habe, kann ich heute anderen zeigen, wie sie es auch tun können. Wie erfolgreich wäre ich wohl bei diesem Vorhaben, wenn meine Botschaft lautete: „Verlange mehr Triggerwarnungen von anderen. Verlange mehr Verständnis und Rücksichtnahme!“

Was macht es aus uns, wenn wir durch die Welt gehen und von anderen verlangen, Rücksicht auf uns zu nehmen? Du kannst es gerne versuchen, aber bitte wundere dich dann nicht, wenn diese Welt dich auffrisst.

Alles, worauf du dich wirklich verlassen kannst, ist der Mensch, den du im Spiegel siehst. Wenn du etwas verlangen willst, dann verlange es von der Person im Spiegel. Das wird das Leben massiv vereinfachen. Versprochen.

 

Es ist, wie es ist

Selbstverständlich soll und muss es Grenzen geben. Ich persönlich fände es zum Beispiel verstörend, in den Nachrichten zu sehen, wie Menschen erschossen und in die Luft gesprengt werden. Ich finde es gut, dass es da eine Grenze gibt, und dass man so etwas nicht zeigt. Doch dann fällt mir ein, dass es Millionen von Menschen da draußen gibt, die gerade genau das erleben und mit eigenen Augen sehen müssen. Was würden die wohl zu mir sagen? Wie würden die wohl reagieren, wenn ich sagte, dass ich solche Dinge nicht sehen möchte?

Da ich dies nun geäußert habe, frage ich mich, wie sinnvoll eine Triggerwarnung vor einem Beitrag über Scheidungen noch klingt. Oder eine Triggerwarnung vor dem Knuspern von Salzstangen. Fühlt sich seltsam an, oder?

Die Wahrheit ist wohl, dass das Leben nicht immer angenehm ist. Die Welt ist wunderschön. Das Leben ist ein Wunder. Aber dennoch sind beide manchmal grausam. Ich fürchte, auch das gehört dazu.

Wie viel wir davon verkraften, ist für jede Person unterschiedlich. Außerdem hängt es maßgeblich davon ab, an welchem Punkt der Entwicklung sich jemand gerade befindet. Deshalb kann ich es von Herzen nachvollziehen, wenn jemand nach Triggerwarnungen ruft. Es gibt diese weiche, empathische Seite in mir, die andere vor Schaden bewahren will und es vollkommen versteht, wenn man sich gewissen Themen einfach nicht stellen will. Aber was ich denke, ist am Ende des Tages völlig irrelevant. Das Leben ist, wie es ist. Es macht, was es machen muss.

Somit verstehe ich es lieber als meine Aufgabe, an die Eigenverantwortung und innere Stärke meiner Mitmenschen zu appellieren. Denn bei diesem Vorhaben kann ich weitaus erfolgreicher sein, als bei dem lächerlichen Versuch, die Welt zu ändern.

Es ist also nicht meine Absicht, gemein zu sein. Ich bin einfach ein Realist. Was das Leben mich gelehrt hat, fasse ich gerne noch einmal kurz für alle zusammen: Das Leben gibt keine Triggerwarnungen. Also lass uns keine verlangen, sondern unsere Zeit und Energie darin investieren, die beste, stärkste und unerschütterlichste Version unserer Selbst zu werden, die wir sein können.

In diesem Sinne: Viel Erfolg!

 

Es ist schön, dass du dabei bist.
Michael

 

Titelbild: Unsplash.com, Andreas Haslinger