Das könnte dir bekannt vorkommen…

Es steht wohl außer Frage, dass wir in verrückten Zeiten leben. Damals, in der Schule, haben wir in die Geschichtsbücher geblickt und uns gefragt, wie es wohl für die Menschen von früher gewesen sein muss, sich inmitten außergewöhnlicher Ereignisse zu befinden. Heute erleben wir es selbst und stellen fest: Im Grunde ist es erstaunlich normal. Ja, Vieles verändert sich und selbstverständlich merken wir das auch. Wie gravierend all das hier wirklich ist, wird man jedoch erst im Nachhinein verstehen und bewerten können.

Das hält uns aber natürlich nicht davon ab, jetzt schon achtsam zu sein und uns darum zu bemühen, das Beste aus der Situation zu machen. Deshalb würde ich gerne mit dir über eine Entwicklung sprechen, die nicht nur ich beobachte, sondern die auch vielen anderen verstärkt auffällt.

Reden wir noch miteinander?

Die Spaltung unserer Gesellschaft ist nichts Neues. Es wird wohl kaum noch jemanden schocken, dass diese zunimmt. Es gibt so viele Dinge, über die wir uns in diesen Tagen streiten:

  • Sind die Corona-Maßnahmen sinnvoll?
  • Ist der Umweltschutz sinnvoll?
  • Falls ja, welche Maßnahmen sind unsinnig und welche nicht?
  • Sollten wir mehr „Flüchtlinge“ aufnehmen oder nicht?
  • Gibt es eine funktionierende Integration oder nicht?

Das sind nur sehr wenige der aktuellen Themen. Dann gibt es natürlich noch viel mehr Politisches, Soziales und selbstverständlich auch die gute alte Glaubensfrage: Welcher Gott ist der beste?

Gestritten haben wir uns schon immer. Aber im Moment haben wir noch mehr Anlass dazu und manchmal bekomme ich das Gefühl, dass es aus dem Ruder läuft.

Das bringt mich dann auch schon zum eigentlichen Punkt: Mir geht es nämlich nicht um die Spaltung der Gesellschaft, sondern um unsere Kommunikation. Die ist nämlich kaum noch vorhanden.

„Streiten“ setzt voraus, miteinander zu diskutieren und Standpunkte auszutauschen. Auch, wenn es manchmal heiß hergeht, kann jeder dabei etwas lernen. Man kann sich respektvoll mit seinem Gegenüber auseinandersetzen und erklären, welche Beweggründe man für seine Sichtweise hat. Hier kommen wir aber zum entscheidenden Problem. Der Austausch findet so gut wie gar nicht mehr statt!

Entweder bist du blöd oder nicht

Die Bereitschaft, über Standpunkte und Sichtweisen zu verhandeln, schwindet. Heutzutage ist jemand entweder blöd oder nicht. Man ist entweder vernünftig oder ein Verschwörungstheoretiker. Entweder ist man cool oder uncool. Wir beschäftigen uns nicht mehr mit unseren Mitmenschen und ihren Meinungen. Wir stecken sie in Schubladen.

Aus genau diesem Grund haben Viele Angst davor, überhaupt eine Meinung zu äußern. Weil sie ganz genau wissen, dass diese jemandem sauer aufstoßen könnte. Was ist nur aus uns geworden? Wir sind eine Gesellschaft, die auf so eine dämliche Art und Weise kommuniziert, dass der Klügere im wahrsten Sinne nachgibt und sich nicht mitteilt. Das kann doch nicht gut gehen.

Wenn es keinen Austausch auf Augenhöhe und keine Kompromissbereitschaft mehr gibt, was bleibt dann übrig? Richtig: Übrig bleiben Menschen, die einander anbrüllen und bekriegen, um dem anderen die eigene Ideologie aufzuzwingen. Und wenn die Geschichte uns Eines gelehrt hat, dann ist es die Tatsache, dass es irgendwann nicht mehr beim Herumbrüllen bleibt…

Es ist überall

Das Internet und die sozialen Netzwerke sind etwas Faszinierendes. In der Theorie geben sie uns eine tolle Gelegenheit, um uns mit unseren Mitmenschen zu vernetzen und auszutauschen. In der Theorie. In der Praxis sind sie jedoch ein Ort, an dem es den allermeisten nur noch darum geht, ihre eigene Meinung kundzutun und alle anderen in Schubladen zu stecken. Wenn du mal Lust auf Bauchschmerzen und Migräne hast, dann schau doch auf der Facebookseite eines beliebigen Nachrichtenportals vorbei und wirf einen Blick in die Kommentarspalten unter den Beiträgen. Das sind die reinsten Schlachtfelder, auf denen Menschen einander zerhacken, weil sie unterschiedliche Meinungen zu den gezeigten Nachrichten haben.

Neulich war ich im Supermarkt einkaufen und sah eine ältere Dame, die in der Gemüseabteilung an ihrem Mundschutz hantierte. Wie sich herausstellte, rutschte dieser ständig herunter und sie hatte Schwierigkeiten damit, ihn oben zu behalten. Verlegen sagte sie zu einem Mitarbeiter: „Das ist aber auch schwierig mit den Dingern.“ Und zack, als hätte jemand einen Alarm ausgelöst, fand sich eine Frau, die eine Schimpftirade begann und der alten Dame vorwarf, sie sei eine „Querdenkerin“, die sich nicht an Regeln halten könne und es wohl lustig fände, die Leben anderer Menschen zu riskieren. Jetzt mal ernsthaft: Die alte Dame war mindestens 80 Jahre alt und hatte einfach nur Schwierigkeiten damit, einen zu großen Mundschutz über der Nase zu halten. Das interessierte jedoch niemanden und ich war zutiefst schockiert, aber auch ernsthaft erstaunt darüber, wie schnell sich mehrere Personen zusammenfanden, um gemeinsam auf der alten Dame herumzuhacken. Wie ist so etwas möglich?

Erstmal die Schuhe anziehen

Ich habe gelernt, dass man nicht über einen Menschen urteilen soll, solange man nicht ein paar Kilometer in seinen Schuhen gelaufen ist. Soll heißen: Bevor man einen Menschen verurteilt, sollte man zumindest versuchen, seine Beweggründe zu verstehen. Das geschieht heutzutage jedoch kaum noch. Es werden Urteile gefällt, ohne dass irgendwelche Hintergründe berücksichtigt werden. Und das andauernd. Es hat kaum jemand Interesse daran, mehr über einen anderen herauszufinden, bevor er urteilt. Im Gegenteil: Man will geradezu, dass jemand in das Bild passt, das man von ihm hat. Es ist eine einfache und bequeme Lösung.

Wenn wir als Gesellschaft aufhören, uns miteinander zu beschäftigen und einander einfach nur in Schubladen stecken, wird das kein gutes Ende für uns alle nehmen.

Füreinander da sein

Es gibt viel, das man zu diesem Thema sagen könnte und ebenfalls zahlreiche Lösungsansätze. Für heute möchte ich dir jedoch nur diesen einen mit auf den Weg geben: Lasst uns wieder etwas mehr mit unseren Mitmenschen beschäftigen. Wir sind aktuell ohnehin schon weiter voneinander entfernt als je zuvor. Lasst uns zumindest geistig und intellektuell wieder ein wenig zusammenrücken. Lasst uns wieder etwas Freiraum für unterschiedliche Meinungen entwickeln. Es ist völlig in Ordnung, wenn nicht alle gleich ticken und vielleicht finden wir bei näherer Betrachtung ja heraus, dass unser Gegenüber sehr gute Gründe dafür hat, so zu denken, wie er nun einmal denkt.

Wenn wir Distanz, Hass, Beleidigungen und schnelle Urteile salonfähig machen, wird es hierzulande sehr bald hässlich werden. Noch haben wir die Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Es gibt nichts stärkeres als Liebe, Freundschaft, Aufmerksamkeit, Respekt, Verständnis und Kommunikation auf Augenhöhe. Vielleicht sollten wir wieder anfangen, Gebrauch von diesen starken Werten zu machen.

In diesem Sinne: Komm gut durch diese verrückte Zeit.

Es ist schön, dass du dabei bist.
Michael

 

 

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