Schon mal darüber nachgedacht?

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass fleißige, ambitionierte und erfolgreiche Menschen sehr viel Aufmerksamkeit und Bewunderung erhalten.

Von Kindesbeinen an lernen wir, dass Fleiß, harte Arbeit und Tatkraft sehr erstrebenswerte Eigenschaften sind. Ich gebe sogar ganz offen zu, dass ich selbst daran glaube. „Von nichts kommt nichts“ ist ein Glaubens- und Leitsatz, der sich tief in meinem Denken verankert hat. Je mehr Mühe wir uns geben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir unsere Ziele erreichen und unsere Träume verwirklichen. Je untätiger wir sind, desto weniger Positives passiert in unserem Leben.

Das mag auf manche Situationen mehr zutreffen als auf andere, aber im Großen und Ganzen funktioniert das Leben in etwa auf diese Weise. Was wir wollen, müssen wir uns erarbeiten. Ich denke, diese Erfahrung hast du auch bereits gemacht.

Somit ist es kein Wunder, dass es so viele Menschen da draußen gibt, die fleißiger werden wollen. Wir suchen nach Mitteln und Wegen, unsere Prokrastination (die gute alte „Aufschieberitis“) zu überwinden. Wir wollen eine stärkere Disziplin entwickeln. Wir erarbeiten Effizienz- und Erfolgsstrategien, die uns weiterbringen sollen. Wir tun alles Erdenkliche, um produktiver zu werden. Und wenn uns das gelingt, entwickeln sich tatsächlich einige Aspekte unseres Lebens zum Positiven.

 

Die Angst vor der Faulheit

Diese Erkenntnisse schüren auch eine gewisse Angst: Die Angst vor der Faulheit. Dass von nichts nun mal nichts kommt, ist uns allen schmerzhaft bewusst. Und genau deshalb fürchten sich die meisten von uns davor, zu faul zu sein und dadurch keine Fortschritte mehr zu machen.

In meinen Coachings geht es sehr oft um Fleiß, Disziplin und Tatkraft. Mich suchen Menschen auf, die gewisse Ziele erreichen wollen. Doch ihnen fehlt die Kraft dazu. Sie wollen unbedingt Fortschritte machen, aber egal wie sehr sie es auch wollen, sie entwickeln nicht die nötige Energie und Willenskraft, um endlich ins Handeln zu kommen. Manche erfinden spektakuläre Ausreden, die ihre Untätigkeit erklären sollen. Andere resignieren und gestehen sich ein, schlicht und einfach faul zu sein.

Meine Erfahrung in diesem Bereich hat mich gelehrt, dass hinter Untätigkeit und Antriebslosigkeit nicht immer Faulheit steckt. Ich persönlich glaube, dass es nur wenige Menschen gibt, die wirklich faul sind. Viel mehr glaube ich, dass die meisten unter den Umständen leiden, die ich im Folgenden beschreiben werde. Ich kenne mich deshalb so gut mit ihnen aus, weil ich unter allen dreien gelitten habe. Ich war ein regelrechter Experte darin, etwas unbedingt zu wollen, es aber einfach nicht zu tun. Ebenfalls war ich ein Experte darin, mein Selbstwertgefühl zu zerstören, indem ich mir einredete, ich sei faul. Doch nachdem ich erkannte, was ich im Folgenden erklären werde, sollte sich mein Leben komplett ändern.

 

Alternativen zur Faulheit

1. Du bist ausgebrannt

Das Modewort „Burnout“ dürfte dir bereits begegnet sein, oder? Viele von uns sind durch ihren extrem belastenden Alltag regelrecht ausgebrannt. Sie verspüren eine körperliche, seelische und emotionale Erschöpfung. Um es ganz einfach auszudrücken: Der Akku ist leer. Burnout ist eine Folge von übermäßiger Arbeit, übermäßigem Stress, übermäßigen Sorgen, übermäßiger emotionaler Belastung, usw.

Viele von uns wollen diesen Zustand nicht wahrhaben. Sie wollen sich keine Schwäche eingestehen. Wie eingangs bereits erwähnt, leben wir in einer Leistungsgesellschaft. Offen zuzugeben, dass der Akku leer ist, ist ein öffentliches Eingeständnis von Schwäche. Da ist es doch viel einfacher, so zu tun, als wäre alles in Ordnung.
An diesem Punkt wird es sogar noch schlimmer: Die Ignoranz der Symptome führt uns oft dazu, umso härter zu arbeiten und den Eindruck der Schwäche zu kompensieren. Wir brauchen unsere Ressourcen noch schneller auf und geraten in einen Zustand völliger Erschöpfung. Es ist ein Teufelskreis. Die meisten werden dann arbeitsunfähig und brauchen Monate, manchmal sogar Jahre, um wieder fit genug für die Belastungen des Alltags zu werden.

Das Ganze ist irgendwie paradox, oder? Stell dir mal vor, der Akku deines Smartphones wäre fast leer und du würdest darauf reagieren, indem du noch mehr Programme öffnen würdest. Verrückt, oder?
Sobald du die erste Warnmeldung bekommst, dass die Kapazitäten sich dem Ende neigen, legst du das Gerät beiseite und führst ihm neue Energie zu. Warum sollte das bei uns Menschen anders sein?

Wenn wir völlig ausgebrannt sind, ist es egal, wie sehr wir einen Fortschritt wollen. Ist der Akku leer, dann ist der Akku leer. Wie sinnvoll ist es also, sich selbst als faul zu bezeichnen und von sich zu verlangen, jetzt erst recht Höchstleistungen zu erbringen? Das kann einfach nicht der richtige Ansatz sein, und wenn du mich fragst, dann ist er es auch nicht.

Sobald wir feststellen, dass wir ausgebrannt sind, ist es an der Zeit, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Wir müssen für Entschleunigung sorgen. Falls wir die Möglichkeit haben, sollten wir Hilfe in Anspruch nehmen. Wir können Aufgaben und Verbindlichkeiten reduzieren. Aber vor allem sollten wir an diesem Punkt anfangen, uns mehr Zeit für uns zu nehmen. Mehr Zeit für das, was uns glücklich macht. Aktivitäten, bei denen wir die Akkus wieder aufladen können.

Wenn wir das tun, stellen wir bereits nach kurzer Zeit fest, dass die Leistungsfähigkeit zurückkehrt. Die Freude am Tun überkommt uns wieder. Wir fühlen uns frisch und stark.

An dieser Stelle würde ich dir noch gerne eine kleine Anekdote erzählen: Vor ca. zwei Jahren hatte ich einen Coachee, der eine Führungsposition in einem großen Konzern hatte. Sein größter Wunsch war es, ins Management aufzusteigen. Er arbeitete unglaublich hart und engagiert. 60 Stunden pro Woche waren bei ihm eine der milderen Arbeitswochen. Er wünschte sich meine Hilfe, um noch leistungsfähiger zu werden. Mehr Effizienz, bessere Organisation, strengeres Zeitmanagement, höhere Führungsqualitäten, und noch einiges mehr. Doch ich lehnte diese Bitte ab. Ich erklärte ihm, dass ich seinen Ansatz ungesund fand. So, wie ich niemandem beibringen kann, unter Wasser zu atmen, kann ich auch niemandem zeigen, wie man von morgens bis nachts schuftet, ohne früher oder später zusammenzubrechen. Stattdessen empfahl ich ihm, vorübergehend deutlich weniger zu arbeiten, sich mehr auf sich zu fokussieren und wieder etwas Freude am Leben zu finden. Er lehnte diesen Vorschlag enttäsucht ab, beendete unsere Zusammenarbeit und sagte, er würde sich einen Coach suchen, der eine stärkere Erfolgsorientierung habe.

Zum letzten Weihnachtsfest ging im Verlag ein Paket für mich ein. Darin waren eine Schachtel selbstgebackener Kekse, eine Entschuldigungskarte und ein Brief des Mannes, von dem ich eben erzählte. Wie sich herausstellte, hatte sein Ansatz ihn innerhalb kürzester Zeit in einen tiefen Burnout getrieben. Daraufhin war er fast ein Jahr lang arbeitsunfähig. In dieser Zeit lernte er, sich auf sich zu fokussieren und zu tun, was ihm am Herzen lag. Er entdeckte neue Hobbies, verbrachte mehr Zeit mit seinen Kindern und fand seine Leidenschaft für Sport wieder. Außerdem las er viel. Nachdem die Akkus wieder aufgeladen waren, kehrte er in seinen alten Job zurück, den man ihm freundlicherweise erneut zugewiesen hatte. Die Ambitionen, ins Management aufzusteigen, hatte er aufgegeben. Doch nur drei Monate später wurde ihm die Beförderung ins Management angeboten. Die Chefetage war beeindruckt von seiner Energie. Man sagte ihm, er sei wie „ausgewechselt“ und nicht mehr so „verbissen“ und „gestresst“ wie zuvor.

Für mich ist diese Erinnerung sehr wertvoll. Nicht etwa, weil ich sagen möchte, dass ich Recht hatte. Es zeigt, dass es nicht nur völlig in Ordnung, sondern absolut notwendig ist, hin und wieder vom Gas zu gehen und sich Zeit für sich zu nehmen.

Falls auch du unter hohem Leistungsdruck stehst, wirst du hoffentlich viel Wertvolles aus diesem Beispiel mitnehmen.

 

2. Dein Umfeld limitiert dich

Stell dir mal vor, du würdest ein Jahr lang täglich in einem Raum voller Menschen sitzen, die ständig über das Backen von Kuchen sprechen. Die ganze Zeit würdest du dir Neuigkeiten über Rezepte, Backverfahren, Zutaten, usw. anhören. Sogar dann, wenn du in dieser Zeit nicht einen einzigen Kuchen backen oder verkaufen würdest, hättest du nach einem Jahr ein beachtliches Wissen über diese Thematik aufgebaut. Würde ich dich nach diesem einen Jahr fragen, was du mir über das Kuchenbacken erzählen kannst, würde es ein langer Abend werden, nicht wahr?

Dasselbe passiert, wenn du ein Jahr lang täglich in einem Raum voller Menschen sitzt, die über nichts anderes als Geld, Geldanlage, Geschäfte und Erfolgsstrategien reden. Sogar, wenn du in dieser Zeit nicht ein einziges Geschäft führst, würdest du unglaublich viel lernen.

Und jetzt stell dir mal vor, was mit dir und deinem Denken passiert, wenn du permanent von Menschen umgeben bist, die ambitionslos oder vielleicht sogar regelrecht faul sind. Menschen, die Ausreden dafür haben, warum sie nicht erfolgreich sein können. Menschen, die täglich negative Glaubenssätze predigen und dir einreden, Erfolg sei eine Illusion. Wie wird sich das wohl auf deine Tatkraft auswirken?

Mir ist völlig bewusst, dass diese Ausführungen nicht sonderlich sympathisch klingen. Aber wahre Worte sind nicht immer schön und schöne Worte sind nicht immer wahr.

Spitze deine Ohren und höre, was dein Umfeld zu sagen hat. Dann wirst du herausfinden, ob die Menschen um dich herum einen positiven oder negativen Einfluss auf dich haben. Ob sie deine Produktivität fördern oder ausbremsen…

 

3. Du hast die falschen Gründe

Hinter den meisten unserer Taten und Entscheidungen steckt ein bestimmter Grund. Ob wir uns dazu motivieren können, etwas zu tun oder nicht, hängt stark davon ab, ob wir den richtigen Grund dazu haben oder nicht. Beispiel gefällig?

Ein guter Freund von mir ist ein richtiger Geizkragen. Er gibt nur sehr, sehr ungern Geld aus. Jede Anschaffung wird mehrfach hinterfragt. Als vor ein paar Jahren seine Ehefrau zu ihm kam und sagte, sie würde gerne ein größeres Auto kaufen, gab es ein riesiges Drama. Du kannst dir denken, wie er darauf reagiert hat. Er fragte seine Frau, warum um alles in der Welt er sein hart erarbeitetes Geld für ein neues Auto aus dem Fenster werfen sollte, wenn das alte Auto doch immer noch bestens funktionierte. Daraufhin gab sie ihm eine simple Antwort: „Ich bin schwanger.“

Wenige Minuten später klingelte mein Telefon. Die ersten Worte, die ich hörte, waren: „Michael, ich brauche deine Hilfe. Hilfst du mir, ein neues Auto zu finden? Meine Frau ist schwanger!“

Einen simplen Grund zur Veränderung zu haben, kann unsere tiefsten Überzeugungen über Bord werfen, langjährige Verhaltensweisen ändern und neue Perspektiven eröffnen.

Bestimmt gibt es gute Gründe dafür, dass du gerne fleißiger, erfolgreicher, tatkräftiger, ambitionierter oder einfach aktiver wärst. Sind dir diese Gründe bewusst? Sind sie stark genug?

Stell sie doch einfach auf die Probe. Nimm dir etwas Zeit und mache dir klar, WARUM du etwas schaffen oder verändern willst. Wenn die Gründe stark genug sind, wirst du neue Energie und eine sogenannte „intrinsische Motivation“ entwickeln.
Vielleicht stellst du aber auch fest, dass dein Vorhaben nicht wichtig genug ist. Vielleicht erkennst du, dass du in einer gewissen Sache gar nicht faul bist, sondern einfach keine guten Argumente hast, viel Arbeit in etwas zu investieren, das dir nicht wichtig genug ist. Es lohnt sich, die Sache mal gründlich zu hinterfragen.

 

Vielleicht bist du gar nicht faul

Vor einigen Jahren ging ich spazieren und kam an einer Weide vorbei, auf der dutzende Kühe lagen. Es war schon ziemlich putzig, wie sie einfach dalagen, gedankenverloren kauten und in die Ferne schauten. In diesem Moment wurde mir klar, dass wir nicht immer etwas „schaffen“ müssen, um glücklich zu sein. Produktiv und beschäftigt zu sein, ist eindeutig eine Erfindung der Menschen. Wir suchen unser Glück stets im Erreichen vom Zielen. Wir brauchen immer den nächsten Meilenstein, um uns zu beweisen, dass wir gut sind. Kein Wunder also, dass wir stets fleißig sein wollen. Kein Wunder, dass wir Angst vor der Faulheit haben. Kein Wunder, dass Burnout so „normal“ geworden ist.

Währenddessen verlieren wir aus den Augen, wie viel Frieden und Glückseligkeit im Sein liegt. Manchmal geht es einfach nur darum, den Moment wahrzunehmen. Sich einfach nur der Tatsache bewusst sein, am Leben zu sein.

Wie eingangs bereits erwähnt, gehöre ich zu den Befürwortern von Produktivität. Ich bin das, was man gemeinhin ein „Arbeitstier“ nennt, und manchmal spüre ich, wie die Folgeerscheinungen dessen an meine Türe klopfen. Doch inzwischen weiß ich mir zu helfen. Dann nehme ich mir einfach Zeit für mich und lade die Akkus wieder auf. In diesen Phasen bin ich nicht faul. Ich bin einfach ausgebrannt, und deshalb konzentriere ich mich auf das, was noch viel wichtiger ist als jeder Erfolg: Mein Wohlbefinden. Danach starte ich umso stärker wieder durch.

Also vielleicht bist du gar nicht faul. Vielleicht bist du einfach ausgebrannt. Vielleicht fehlen dir die richtigen Gründe. Vielleicht schränkt dein Umfeld dein Potenzial ein. Es liegt an dir, das herauszufinden.

Ich hoffe, dass du in diesen Zeilen Inspiration, Motivation und neue Kraft findest. Viel Erfolg!

Es ist schön, dass du dabei bist.
Michael

 

Titelbild: Unsplash.com, Adrian Swancar