Ein ehrlicher Einblick…

Einige – offen gesagt sogar erstaunlich viele – Ratgeberautoren, Coaches, Gurus und Motivatoren haben etwas, das ich nicht sonderlich mag und auch niemals mochte: Den erhobenen Zeigefinger. Die Fassade der Überlegenheit. Die Präsentation einer unfehlbaren Persönlichkeit, die niemals leidet. Ich finde das einfach unecht.
Versteh mich bitte nicht falsch: Falls es da draußen wirklich jemanden geben sollte, dem alles gelingt und der niemals leidet, dann möchte ich dieser Person meine besten Glückwünsche und mein vollstes Wohlwollen zum Ausdruck bringen. Aber ich glaube nicht daran. Niemand ist perfekt. Niemandem scheint die Sonne aus dem Allerwertesten. Das Leben ist und bleibt eine Herausforderung. Manche von uns finden einfach Wege, besser damit umzugehen und an der ein oder anderen Stelle über sich hinauszuwachsen. Das ist es, was das Leben lebenswert macht: Lernen, wachsen und genießen.

Da kommen wir doch auch schon zum Sinn hinter der Persönlichkeitsentwicklung. Wir wollen wachsen und stärker werden, um besser mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen. Um unser Dasein genießen zu können. Leicht ist das jedoch nicht immer. Dieser Tage wirkt es sogar besonders schwer, denn es gibt unzählige äußere Faktoren, die uns aufs Gemüt drücken, unseren Alltag erschweren, Zukunftsängste schüren und uns an vielem zweifeln lassen.

Bestimmt gibt es manche Menschen, die mehr Glück haben als andere. Es sei ihnen gegönnt. Doch der Rest von uns stellt sich jeden Tag seinem ganz persönlichen Kampf gegen seine ganz persönlichen Herausforderungen. Und das ist auch gut so. Auf diese Weise werden wir stärker, weiser und glücklicher.

Höhen und Tiefen

Dass etwas Sinn ergibt, heißt noch lange nicht, dass es Spaß macht. Es ist ein wunderschönes Prinzip, dass wir gemeinsam mit unseren Herausforderungen wachsen. Es kann uns sogar sehr viel Freude bereiten. Doch manchmal, und vor allem an den Tagen, an denen wir einfach wenig Energie haben, macht es keinen Spaß. Dann ist es einfach nur eine Qual. Wir alle haben unsere Durchhänger. Wir alle haben Tage, an denen wir am liebsten alles hinschmeißen würden. Vielleicht mag es dem einen weniger oft passieren als dem anderen, doch ich glaube, dass niemand davor sicher ist. Und deshalb habe ich auch noch nie versucht, nach außen den Eindruck zu vermitteln, unfehlbar zu sein oder niemals einen schwierigen Tag oder gar eine sehr bescheidene Phase zu haben. Seelische Schmerzen und harte Phasen gehören zum Leben dazu. Ich täte mir selbst leid, wenn ich keine hätte, denn dann hätte ich auch keine Chance, ein stärkerer und besserer Mensch zu werden. Logisch, oder?

Und da hätten wir dann auch schon die erste Maßnahme, um schwere Phasen zu bewältigen: Akzeptanz. Indem wir akzeptieren, dass Höhen und Tiefen ihre Berechtigung haben und unvermeidlich sind, bleiben wir in Balance. Wer sich das Leben permanent schönredet und die Notwendigkeit der ein oder anderen Talsohle leugnet, wird erbarmungslos aus der Bahn geworfen, sobald das Schicksal eine ruppige Gangart an den Tag legt.

Man sagt mir eine gewisse Gelassenheit nach, die für mich nicht ganz nachvollziehbar ist. Es ist nicht so, als würde ich mich stark genug fühlen, um es mit jeder Herausforderung des Lebens aufzunehmen. Die Wahrheit ist einfach, dass ich Höhen und Tiefen für unvermeidlich halte. Ich habe mich damit abgefunden, dass es Entwicklungen gibt, die außerhalb meines Einflussbereichs liegen. Sobald diese anfangen, mein Leben zu beeinflussen, frage ich mich, welche Maßnahmen innerhalb meines Einflussbereichs liegen, um etwas dagegen zu unternehmen. Solange das nicht der Fall ist, wird mein Fokus an anderer Stelle gebraucht. Am Ende des Tages ist das schlicht und einfach eine simple Akzeptanz.

Herz und Verstand

Falls dies nicht der erste Beitrag von mir ist, den du liest, dann weißt du ja bestimmt, dass meine Bücher recht beliebt und erfolgreich sind. Dafür bin ich sehr dankbar und es macht mich überaus glücklich. Genauso sind meine Coachings effektiv und gewinnbringend, worüber ich ebenfalls sehr glücklich bin. Aus Rezensionen, Leserbriefen und vielen persönlichen Gesprächen weiß ich, dass man mich und meine Arbeit als sehr „echt“ empfindet. Für die meisten fühlt es sich so an, als würden wir uns persönlich kennen. So, als wären wir Freunde und würden gemeinsam über etwas sprechen, das wir beide erlebt haben. Und jetzt wird es richtig skurril: Viele fragen sich, wie das sein kann und wie dieser Eindruck zustande kommt. Und wenn sie dann nach einer Erklärung suchen, dann nehmen sie an, ich hätte ein besonderes Talent oder eine „Gabe“.
Auch bei so ziemlich jedem Interview werde ich gefragt, welche „Fähigkeit“ es mir ermöglicht, meine Leserschaft zu verstehen. Jedes einzelne Mal, wenn diese Frage aufkommt, muss ich lächeln.

Ist denn wirklich noch niemand auf die Idee gekommen, dass ich so viel von seelischem Schmerz verstehe, weil ich selbst schon so viel davon gefühlt habe?

Wer mich heute sieht, sieht nur das, was ich heute bin. Ein erfolgreicher Autor. Ein Geschäftsmann. Ein Unterstützer und für manche hoffentlich auch ein Vorbild. Es ist schwer, dahinter eine sehr sensible Persönlichkeit zu erkennen, doch lass mich dir bitte das Folgende sagen: Sensibilität ist die Grundvoraussetzung für all das, was ich mache. Ich bin der vielleicht sensibelste Mensch, den ich kenne. Wer selbst sensibel ist, weiß genau, wovon ich spreche, wenn ich sage, dass man als empfindsames Wesen jegliche Schmerzen geradezu magisch anzieht.

Ich verstehe viel von Schmerz, Verlust, Entbehrungen, Trauer, Vertrauensmissbrauch, Einsamkeit, Wut und Enttäuschung, weil ich schon in jungen Jahren viel davon erlebt und erlitten habe. Hätte ich all das nicht erlebt, und wäre ich nicht an all dem gewachsen, wäre meine öffentliche Arbeit rein gar nichts wert.

Also bin ich dankbar. Und da wären wir auch schon bei der nächsten wichtigen Säule, um schwere Phasen zu überwinden: Dankbarkeit. Dankbarkeit für all die Dinge, die trotzdem schön sind. Aber vor allem Dankbarkeit für all die Herausforderungen und somit Chancen zum Wachsen.

Die meisten sensiblen Menschen hassen diese Eigenschaft an sich. Sie sagen mir, sie würden sich wünschen, stärker zu sein und nicht immer so intensiv zu empfinden. Ich sehe das jedoch anders. Es ist ein ganz besonderes Geschenk, sensibel zu sein. Sensibilität lässt uns das Leben viel intensiver spüren und es besser verstehen. Der Trick an der Sache ist im Grunde simpel: Wir dürfen nicht an dem zerbrechen, was wir fühlen. Wir müssen daran wachsen. Wer lernt, an seinen intensivsten Schmerzen und Empfindungen zu wachsen, entwickelt eine Stärke, die allen verwehrt bleibt, für die das Leben eine sanfte Spazierfahrt ist.

Weitermachen

Und dann wäre da noch mein vielleicht wichtigster Ansatz, um das Leben auch in den schwierigsten Phasen annehmen und genießen zu können: Weitermachen.

Warum sollten wir überhaupt morgens aufstehen und arbeiten gehen, wenn wir doch in Wirklichkeit nur unseren Dienst im Hamsterrad verrichten? Die Arbeit wird nicht leichter, aber das Leben wird teurer und schwerer.

Warum sollten wir uns darum bemühen, ein guter Mensch zu sein und einen positiven Effekt auf andere zu haben, wenn die Welt sich ganz offensichtlich dazu entscheidet, im Chaos zu versinken und Krieg zu führen?

Warum sollten wir für etwas „Gutes“ kämpfen, wenn wir in der Ferne nichts Gutes erkennen können, das auf uns wartet?

Ich wünschte, ich könnte dir eine vernünftige Antwort auf diese Fragen geben, aber das gehört ganz eindeutig zu den Dingen, die außerhalb meines Einflussbereichs liegen.
Stattdessen möchte ich dir mitteilen, was ich gelernt, beobachtet und als Wahrheit angenommen habe: Alles ergibt früher oder später Sinn. Dass wir es jetzt noch nicht sehen können, heißt nicht, dass es keinen Sinn hinter dem gibt, was geschieht.

Vor etwas mehr als acht Jahren saß ich nachts auf Bahngleisen und wartete auf einen Zug, der mich aus diesem Leben fortbringen sollte. Fort von meiner Trauer, meinen Depressionen und meinen Panikattacken. Zu diesem Zeitpunkt fühlte sich mein Leben an, als würde ein undurchdringlicher Nebel über einfach allem liegen. Ich konnte nichts sehen. Nichts erkennen. Keinen Sinn und keine Zukunft. Ich konnte mir nichts Positives oder Schönes vorstellen, das mich noch erwarten könnte. Gar nichts.
Aber glücklicherweise bekam ich kalte Füße, als ich den Zug in der Ferne herannahen hörte. Der Lärm rüttelte mich wach und die Angst zeigte mir, dass ich noch nicht bereit war zu gehen.

Was danach kam, war und ist besser als alles, was ich mir hätte erträumen können. So viel Leben. So viel Abenteuer. So viele persönliche Erfolge und so viele krachende Niederlagen, aus denen ich etwas lernen konnte. „Schade“ reicht als Wort nicht annähernd aus, um zu beschreiben, wie schade es gewesen wäre, wenn ich all das weggeworfen hätte.

Und deshalb weiß ich heute das Folgende ganz genau: Ich muss nicht immer genau wissen, was kommt. Genauso muss ich nicht immer wissen, welchen Sinn das ergibt, was gerade geschieht. Ich muss einfach nur weitermachen, um es herauszufinden. Manchmal ist das alles, worauf es ankommt.

Fazit

Natürlich gibt es tausende Feinheiten und Finessen, die eine Persönlichkeit und eine Lebensstrategie ausmachen. Es wäre töricht von mir zu glauben, dass ich meine Lebensphilosophie in 1.500 Wörtern darstellen kann. Doch im Großen und Ganzen spiegeln diese Zeilen recht gut wider, wie mein Ansatz funktioniert. Nicht jeder Tag ist leicht. Auch ich habe schwere Phasen wie jeder andere. Doch davon lasse ich mich nicht allzu sehr beeindrucken.

Ich akzeptiere, dass das Leben nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen ist und rechne auch gar nicht damit. Stattdessen versuche ich, in Balance zu bleiben und das Beste aus jeder Phase zu machen.
Darüber hinaus bin ich dankbar. Dankbar für jede Herausforderung, denn sie lässt mich wachsen und reifen. Ich bin dankbar für mein sensibles Gemüt, denn es lässt mich das Leben intensiv spüren. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass es der blanke Horror ist, nichts mehr fühlen zu können. Schon mal darüber nachgedacht, warum manche Menschen anfangen, sich selbst Schnittwunden zuzufügen, wenn sie unglücklich sind? Emotionale Taubheit kann uns in den Wahnsinn treiben. Gefühle sind ein Segen und wir sollten sie nutzen, um unseren Geist wachsen und reifen zu lassen.

Und zuletzt mache ich weiter. Einfach weiter, immer weiter. Das Leben ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Bis das soweit ist, sollten wir dem Leben jeden Tag die Chance geben, uns zu überraschen und uns etwas Neues beizubringen.

Ich würde kein perfektes und sorgenfreies Leben wollen. Ein gutes Leben ist ein Leben außerhalb der Komfortzone. Zumindest glaube ich das.

Auch jetzt befinden wir uns außerhalb der Komfortzone. Der Alltag ist hart und die Zukunft ungewiss. Wenn wir herausfinden wollen, welchen Sinn das früher oder später ergeben wird, müssen wir es akzeptieren, das Beste daraus machen, dankbar sein und einfach am Ball bleiben.

Dieser Blogartikel entstand, weil ich in den letzten Wochen ungewöhnlich viele Mails von besorgten Leserinnen und Lesern erhalten habe, die Angst vor dem aktuellen Weltgeschehen haben und mich fragten, wie ich mit solch schwierigen Zeiten umgehe. Einen Teil der Antwort darauf findest du in diesem Blogartikel. Ich hoffe aufrichtig, dass meine Gedanken an der ein oder anderen Stelle ein wenig Mut und Inspiration auslösen.

Lasst uns stark bleiben. Das Leben ist immer noch schön.

Es ist schön, dass du dabei bist.
Michael

 

 

Titelbild: Unsplash.com, Paola Chaaya