Wie wir herausfinden, was wir wollen

Ein Plädoyer für den Mut, das Leben neu zu entdecken… 

Vor vielen Jahren, da war ich – man mag es kaum glauben – ein kleiner Junge. Als Sechsjähriger glaubte ich, Pommes Frites seien eine noble Delikatesse. Das ist kein Scherz. Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, brauchte ich eine Weile, um zu begreifen, dass es sich hierbei um exakt dasselbe wie Fritten handelt. Aber „Pommes Frites“ klingt so exquisit und royal, nicht wahr?

Während ich heutzutage zu schätzen weiß, dass ein paar Pommes mal ein ganz netter Snack sein können, hielt ich sie damals also für eine Delikatesse. Warum? Weil ich ein Sechsjähriger war. Weil ich mich nicht für all die raffinierten und feinen Speisen interessierte, die ich im Laufe meines weiteren Lebens kennenlernen sollte. Weil ich noch nicht wusste, dass ich eines Tages etwas Anspruchsvolleres als frittierte Kartoffelstreifen essen würde. Weil ich nicht den intellektuellen Horizont hatte, so weit nach vorne zu schauen. Warum auch? Ich war ein Sechsjähriger. Ich war einfach froh darüber, ein paar warme, krosse Pommes Frites mit Ketchup zu essen.

Warum erzähle ich dir das? Gute Frage. Vielleicht, weil ich immer daran denken muss, wenn mich jemand fragt, wie er herausfinden kann, was er vom Leben will. Erlaube mir, ein wenig auszuholen und das zu erklären.

 

Warum bin ich nicht bei Fritten geblieben?

Wie konnte ich eigentlich herausfinden, dass das Leben auch höhere kulinarische Genüsse als Fritten zu bieten hat? Wie konnte ich meinen Horizont erweitern? Ich war doch schließlich vollkommen zufrieden mit den knusprigen Erdapfelstreifen.
Nun, was soll ich sagen… ich war offen für Neues. Ich habe mehr ausprobiert. Und dabei bin ich ganz automatisch Lebensmitteln begegnet, die mich noch mehr begeistern konnten.

Logisch, oder?

Wenn man mir im Alter von sechs Jahren die Aufgabe gegeben hätte, mir etwas auszudenken, das ich noch lieber mag als Pommes, was hätte ich dann wohl geantwortet?
Oder besser gefragt: Wie hätte ich eine Antwort geben können?

Woher soll ein Sechsjähriger wissen, was er mögen könnte, obwohl er es noch gar nicht kennt?

Ist es nicht logisch und selbstverständlich, dass ich mich weiterentwickeln, aufgeschlossen bleiben und Neues ausprobieren musste, um etwas zu entdecken, das mir noch besser gefällt?

Falls deine Antwort darauf „Ja“ lautet, dann weißt du jetzt auch, warum ich diese Geschichte erzähle.

 

Das Paradoxon

In meinem Alltag höre ich oft: „Wenn ich doch nur wüsste, was mir wirklich gefällt! Dann könnte ich es einfach tun.“
Dann sage ich etwas wie: „Sieht so aus, als müsstest du etwas finden, das dich begeistert.“
Und dann bekomme ich in der Regel die folgende Antwort: „Ja, aber wie finde ich denn heraus, was ich gut finde?“

Genau an dieser Stelle denke ich an mein sechsjähriges Ich.

Wir glauben, bereits im Vorhinein herausfinden zu müssen, was wir wollen, um es tun zu können. 
In Wirklichkeit müssen wir uns auf das Leben einlassen, um herauszufinden, was uns gefällt. 

Wir müssen nicht gut genug werden, um den Weg gehen zu können.
Wir müssen den Weg gehen, um besser zu werden.

Wir müssen nicht wissen, was das Leben zu bieten hat, um damit beginnen zu können.
Wir müssen beginnen zu leben, um herauszufinden, was das Leben zu bieten hat.

 

Wir sollten aufhören, ankommen zu wollen

Als Kinder waren wir offen für Neues. Und zwar jeden Tag. Wir waren neugierig. Wir haben uns auf das Leben eingelassen.

Als Erwachsene versuchen wir, anzukommen. Dabei scheinen wir zu vergessen, dass das Leben ein Weg ist, der gegangen werden möchte. Und zwar bis zum allerletzten Tag.
Wenn wir diesen Weg gehen, sammeln wir neue Eindrücke. Aus diesen neuen Eindrücken leiten wir ab, was uns gefällt oder nicht.

Lasst uns also die hohe Erwartung ablegen, aus dem Stegreif heraus zu entscheiden, was wir für den Rest unseres Lebens tun wollen.
Lasst uns stattdessen leben, unseren Horizont erweitern und dabei herausfinden, welche Aspekte des Lebens uns wirklich zusagen und welche eher nicht.

Ein komfortables Leben ist ein gemütliches Leben. Aber es ist in den wenigsten Fällen ein spannendes oder glückliches Leben.

 

Das Abenteuer geht weiter

Der Aufgeschlossenheit und Neugier habe ich zu verdanken, dass Pommes Frites trotz ihres royalen Namens heute nicht mehr die feinste Speise sind, die ich kenne. Ebenfalls habe ich dieser Aufgeschlossenheit zu verdanken, dass ich neulich in den Genuss kam, ein „Blumenkohl-Steak“ zu probieren. Was soll ich sagen… Ich bin dankbar, nun zu wissen, dass ich das nie wieder tun sollte 😉

Lasst uns neugierig bleiben. Lasst uns das Leben entdecken. Dann erledigt sich die Frage, was wir wirklich wollen, ganz von selbst.

In der Hoffnung, die ein oder andere Perspektive eröffnet zu haben, verabschiede ich mich ins Wochenende.

 

Es ist schön, dass du dabei bist.
Michael

 

 

Titelbild: Unsplash.com, Valna Studio

 

 

16 Kommentare, sei der nächste!

  1. MEIN LEBEN = 1. Fülle dein Leben nicht mit Tagen, sondern deine Tage mit Leben & 2. Lebe jeden Tag als wäre es Dein ERSTER 🙂 Ich habe ungewollt vor 23 Jahre über die Grenze geschaut und da denkt man anders über jede Sekunde mit offenen Augen…. Ich wünsche jedem viele lächelnde Momente!
    von Sylke

  2. Danke für diesen wunderschönen Artikel, lieber Michael! Es hat viel Freude gemacht, deine Worte zu lesen und mir mal wieder die Augen geöffnet 😊

  3. Hallo Michael, ein sehr schönes Beispiel, ich glaube als Erwachsener steht man sich oft selbst im Weg. Es fällt mir schwer neue Wege zu gehen aber oft ist es nötig. Ich danke dir für deine inspirierenden Worte. Ich wünsche dir ein schönes langes Wochenende.

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