Das Leben selbst ist immer noch der beste Lehrmeister…
Ich weiß, ich weiß… offiziell ist noch Sommer. Aber in aller Fairness: Die letzten Wochen waren so verregnet, dass ich gar nicht anders konnte, als an den Herbst zu denken. Ich würde nicht sagen, dass der nahende Herbst mich melancholisch macht. Eher nachdenklich.
Vielleicht geht es dir ähnlich. Diese Jahreszeit hat eine ganz eigene Wirkung. Die Luft wird kühler, die Farben wärmer. Es wird ruhiger draußen, und oft auch in uns. Man spürt, dass etwas zu Ende geht, aber nicht auf eine traurige, sondern auf eine ehrliche, natürliche Art. Der Herbst macht keinen Lärm um seinen Abschied. Er zieht sich würdevoll zurück. Und genau das fasziniert mich.
In einer Welt, die ständig „mehr, höher und schneller“ schreit, erinnert uns der Herbst daran, dass Loslassen kein Versagen ist, sondern ein notwendiger Schritt. Und dass das Ende einer Phase nicht das Ende von allem ist. Eher der Anfang von etwas Neuem.
Die Schönheit der Vergänglichkeit
Es ist schon erstaunlich. Die Blätter färben sich genau dann in den schönsten Tönen, wenn sie bereit sind, sich vom Baum zu verabschieden. Sie zeigen uns, dass ein Abschied etwas Schönes sein kann. Die Botschaft dahinter ist, dass ein Übergang schmerzhaft, aber gleichzeitig auch wunderschön und bedeutsam sein kann. Dass etwas nicht nur dann wertvoll ist, wenn es von Dauer ist. Und dass das Vergehen manchmal die wichtigste Voraussetzung für neues Wachstum ist.
Für uns, die ständig Schwierigkeiten mit dem Loslassen haben, ist das eine wichtige Botschaft. Denn wir halten fest. Wir halten fest an Beziehungen, an Plänen und an Bildern von uns selbst, die längst nicht mehr aktuell oder relevant sind. Und vielleicht ist das Schauspiel des Herbsts eine Erinnerung daran, dass das Loslassen nicht nur notwendig ist, sondern auch die Vorbereitung für etwas viel Schöneres, das noch kommen wird.
Wenn du dir einen Baum im Herbst ansiehst, wirst du nie den Eindruck haben, dass er gegen den Wandel kämpft. Er lässt geschehen. Er weiß, dass der Wandel nicht nur unvermeidbar ist, sondern Teil des Kreislaufs. Dass auf die Ruhe des Winters der Aufbruch des Frühlings folgt. Und auf das Blühen der Sommer. Der Baum verliert seine Blätter nicht in der Angst, kahl zu sein. Sondern in dem Vertrauen, dass er wieder erblühen wird.
Und genau dieses Vertrauen fehlt uns manchmal. Wir sehen Veränderung als Bedrohung, nicht als natürliche Entwicklung. Dabei ist genau das unser Fehler: Wir glauben, wir könnten Kontrolle über Dinge behalten, die sich sowieso verändern. Dabei vergessen wir, dass gerade in diesen Veränderungen oft unsere größten Chancen liegen.
Was, wenn wir wie Bäume wären? Was, wenn wir dem Leben zutrauen würden, dass es uns nach einer Phase des Rückzugs wieder Kraft schenkt? Was, wenn wir nicht alles festhalten müssten, um uns sicher zu fühlen? Ein schöner Gedanke, oder?
Der Herbst hat keine Eile. Er hetzt nicht, sondern gleitet sanft über die Landschaft. Es wird früher dunkel, die Tage werden kürzer, und plötzlich merken wir: Wir brauchen diese Verlangsamung. Es ist eine Einladung zur inneren Einkehr. Und vielleicht auch eine Erinnerung daran, dass wir nicht immer produktiv sein müssen, um wertvoll zu sein.
Viele Menschen spüren im Herbst ein leises Sehnen. Nicht nach etwas Bestimmtem, sondern nach einem Zustand von Frieden. Einem Innehalten. Einem Aufatmen. Die Welt wird ein wenig leiser, und plötzlich hört man sich selbst wieder. Gedanken, die man im Trubel des Sommers weggeschoben hat, tauchen wieder auf. Fragen, die man sich nicht gestellt hat, klopfen an.
Das mag herausfordernd sein, ja. Aber es ist auch ein Geschenk. Denn gerade in der Stille entstehen oft die klarsten Einsichten. Und manchmal reicht ein einziger Spaziergang durch raschelndes Laub, um sich daran zu erinnern, was wirklich zählt.
Abschied in Würde
In meinen Augen hat der Herbst etwas Würdevolles. Er verabschiedet sich, ohne sich zu beklagen. Ohne Drama. Ohne zu jammern, dass die Sonne nun seltener scheint oder dass die Nächte länger werden. Er nimmt es an und macht das Beste daraus. Vielleicht ist das eine der größten Lektionen, die wir lernen können: Abschied zu nehmen, ohne zu zerbrechen. Denn Abschiede gehören zum Leben dazu. Manche kommen leise, andere reißen uns aus dem Gleichgewicht. Aber am Ende liegt es an uns, wie wir ihnen begegnen.
Der Herbst hat mir gezeigt, dass ich mich in Ruhe zurückziehen kann, und dass es nicht bedeutet, aufzugeben. Dass wir loslassen können, ohne zu verlieren. Dass wir manchmal weitergehen müssen, auch wenn wir noch nicht genau wissen, wohin. Wir müssen nur darauf vertrauen, dass wir bald wieder erblühen werden.
Vielleicht liegt die wahre Schönheit des Herbsts nicht in seinem Farbenspiel, sondern im Versprechen, das dahinter liegt: Dass nach jedem Rückzug neues Leben und neue Chancen möglich sind. Dass das Vergehen Teil eines größeren Plans ist, den wir nicht verstehen, sondern auf den wir vertrauen müssen. Und dass wir immer wieder neu aufblühen können, auch wenn wir uns gerade kahl und leer fühlen.
Vielleicht ist es genau das, was du gerade brauchst. Eine Erinnerung daran, dass du nicht immer in Blüte sein musst. Dass du nicht immer Höchstleistung erbringen musst. Dass du nicht immer Erwartungen gerecht werden musst. Dass du einfach sein kannst. Dass du die Aufs und Abs deiner Entwicklung geschehen lassen kannst, in dem tröstlichen Vertrauen darauf, dass hinter dem Winter ein neuer Frühling wartet.
Denn die Wahrheit ist, dass das Leben nicht nur aus Frühling und Sommer besteht. Und ganz offensichtlich ist das auch gut so.
Alles hat seine Zeit. Alles darf sich wandeln. Auch du.
Und siehe da: Nun war ich doch melancholisch. Vielleicht sogar ungewöhnlich poetisch 🙂 Aber was soll ich machen… Die Herbstgefühle überkamen mich, und das mitten im August.
Erinnere dich an meine Worte, wenn die Tage wieder dunkler werden. Der nächste Herbst kommt bestimmt. Genauso wie der nächste Frühling…
Es ist schön, dass du dabei bist.
Michael
Titelbild: Unsplash.com, Aaron Burden
Hallo Michael,
ein sooo schöner Blogartikel.
Ich liebe den Herbst immer schon und werde ihn nun mit noch mehr Anmut und Zuversicht betrachten.
Vielen Dank 😊
Liebe Grüße Steffi
Auch ich habe zu danken! Schön, dass die Perspektive dir gefällt 🙂
Liebe Grüße
Michael
Lieber Michael,dein Text hat mich wirklich berührt. Gerade für jemanden wie mich – älter, mit etwas mehr Gewicht und ohne die jugendliche Frische – ist das eine wichtige Erinnerung: Dass Veränderung und Loslassen nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang sind. Hermann Hesses Gedicht „Stufen“ passt perfekt dazu – auch wenn wir älter werden und sich vieles wandelt, spüren wir doch das Leben, das noch gelebt werden will. Danke, dass du so ehrlich und schön daran erinnerst, dass jede Lebensphase wertvoll ist und Platz für Neues schafft. Herzliche Grüße, Ali Haydar
Herzlichen Dank, Ali! Ich habe mir gerade das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse durchgelesen, da ich es zuvor nicht kannte. Du hast Recht: Es passt perfekt zur Thematik!
Und erlaube mir bitte diese Perspektive: Jugendliche Frische ist nicht an das Alter gebunden 😉
Das ist etwas, das ich von vielen wunderbaren Menschen lernen durfte, mit denen ich im Laufe meiner Karriere zusammengearbeitet habe. Manchmal blühen wir dann am meisten auf, wenn wir es am wenigsten erwarten würden.
Liebe Grüße
Michael
Ja, das ist poetisch. Ich liebe den Herbst. Danke, dass ich hier sein kann
Ich bin froh, dass du hier bist! 🙂
Ja…. Poetisch und zugleich so treffend wahr! Die Zeit des Übergangs hat begonnen, ob wir es in der Natur erkennen oder im Wandel und Rückzug des eigenen Inneren, dem Fühlen und Erkennen, dass etwas Großes zuende geht und etwas Zartes Neues zu wachsen beginnen wird….
Danke für Deine immer wieder schönen inspirierenden Beiträge 🙏
Wirklich sehr schön gesagt, liebe Ulrike. Und vielen Dank für deine Wertschätzung!
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.
Liebe Grüße
Michael
Lieber Michael, ich sage Danke für die tollen Worte die mein Herz zutiefst berührt haben.Lg Tina
Auch ich habe zu danken, liebe Tina!
Lieber Michael,
das war heute, ganz anders als sonst, ein sehr poetischer Beitrag aber Du hast alles sehr treffend beschrieben und die richtige Schlüsse daraus gezogen. Das ganze Leben und auch unser Universum ist ja, wie wir wissen, im permanenter Wandel, nur machen wir uns es nicht immer bewusst. Und Du völlig recht, das Loslassen und das Vertrauen darauf, dass loslassen kein Verlust ist sondern meistens ein Gewinn. Und trotzdem fällt es uns immer wieder schwer, etwas loszulassen weil das Ego in uns einfach sehr stark ist und es uns einredet, wie wichtig Besitz oder recht zu haben ist. Dabei kann Loslassen eine regelrechte Befreiung sein und setzt Energie frei für Neues.
Ich finde es auch sehr gut, lieber Michael, dass Du Dir jetzt mehr Zeit nimmst, für Deine anderen Aktivitäten, auch das hat ja etwas mit Loslassen zu tun.
Ich lese gerade ein Buch von zwei schwedischen Autoren mit dem Titel “Nichts tun“. Ein sehr interessantes Buch.
Ich wünsche Dir weiterhin eine gute Zeit mit vielen guten Ideen und aus deren Fülle das herauszufiltern, was für Dich das Richtige ist.
Liebe Grüße Horst
Lieber Horst,
das hast du wirklich sehr schön gesagt. Danke dafür.
Es ist unser Ego, das uns festhalten lässt. Wir versuchen, Dinge zu kontrollieren, die weitaus größer sind als wir: Die Zeit, das Leben, die Natur.
Und ich stimme dir vollkommen darin zu, dass wir durch das Loslassen nicht verlieren, sondern oft sogar gewinnen und Freiräume schaffen.
Danke für deine Wertschätzung! Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.
Liebe Grüße
Michael
Hallo Michael, vielen Dank für diesen Artikel. er kam bei mir zu richtigen Zeit und rührt mich zu Tränen.
manchmal merkt man gar nicht, wie das Leben an einem vorbei zieht. einmal zu entschleunigen, sich zurück zu ziehen ist so wichtig. alles Gute und ich freue mich wieder von dir zu hören
ganz liebe Grüße Katrin
Es freut mich sehr, dass meine Worte dich zum richtigen Zeitpunkt erreichen, liebe Katrin. Was immer dich gerade beschäftigt: Ich wünsche dir viel Kraft und Erfolg.
Für dich ebenfalls alles Gute!
Liebe Grüße
Michael
Danke für diesen wunderschönen und wertvollen Artikel, lieber Michael! Dank deiner Worte kann der Herbst jetzt kommen. Anders als in den letzten Jahren freue ich mich jetzt sogar darauf. Danke für die neue Perspektiven 🙂
Wünsche dir ein wunderbares Wochenende!
Liebe Grüße
Luisa
Herzlichen Dank, liebe Luisa! Schön, dass du dich durch diese neue Perspektive auf den Herbst freust.
Auch wenn ich mich über das Wetter beschwere, ist der Herbst insgeheim doch meine liebste Jahreszeit 🙂
Dir ebenfalls ein schönes Wochenende!
Liebe Grüße
Michael
Lieber Michael,
ich danke dir von Herzen für diese wunderbaren Zeilen. Sie haben mir besonders heute sehr geholfen, da ich momentan eine nicht leichte Zeit durchmache. Mein Opa hat mir diesen Beitrag weitergeleitet.:)
Danke für deine Gedanken und für das Gute was du den Menschen damit gibst!
Hallo Michael, welch ein schöner Text. Mir ist der Herbst schon immer die liebste Jahreszeit. Schon als Kind mochte ich die nebligen Morgen, wenn ich zur Schule ging. Selbst die Geräusche waren geheimnisvoll. Du bringst immer alles so gut auf den Punkt. Einiges von deinem Text werde ich meiner Trauergruppe vorlesen, ich bin ehrenamtliche Trauerbegleiterin .Auch ich sage danke.
Renate
Hallo Michael
Danke dir für diesen guten Text, er erreicht mich, in einer Phase wo Abschiede mich beschäftigen, beruflich und gesundheitlich, gleichzeitig sehe ich auch Neues in meinem Leben.
Loslassen… “ wir müssen das Loslassen lernen, es ist die grosse Lektion des Lebens“(Juli Schlosser).
Dein Leben macht Sinn. Danke ! Grüssle Christel
So schön, Danke 😌
Hallo Michael ☺️
Das ist wunderbar geschrieben
Für mich ist der Herbst die schönste Jahreszeit
Genau wie du es beschreibst
Alles wird ruhiger 😌
Obwohl ich den Sommer sehr mag
liebe ich auch den Herbst und Winter ❤️
Und freue mich dann auf den Frühling
Wo alles grün wird und zum Leben erwacht
Und genau wie du es beschreibst wer loslässt hat beide Hände frei
Liebe Grüße Manuela ☺️