Er hat eine unglaubliche Tragweite…

Ich werde die Einleitung dieses Artikels unkompliziert halten: Es ist mir ein Anliegen, ein paar der Gedanken mit euch zu teilen, die mir in letzter Zeit häufiger durch den Kopf gehen. Sie helfen mir sehr bei meiner Weiterentwicklung und geben mir viel Aufwind. Insofern hoffe ich, dass sie auch euch einen Mehrwert bringen. Als die Tragweite der These, die wir heute behandeln werden, mir zum ersten Mal bewusst wurde, schlug sie wie ein Blitz in meinen Geist ein. Lass uns herausfinden, ob sie auch auf dich einen Effekt hat.

Leg das Geschenk nicht in die Ecke

Kennst du das Gefühl, das man hat, wenn man jemandem etwas schenkt und dann erfährt, dass die beschenkte Person das Geschenk überhaupt nicht benutzt? Es ist ein unangenehmes Gefühl. Man könnte es sogar als Enttäuschung bezeichnen. Während ich das schreibe, muss ich lachen, denn im Grunde ist das eine egoistische und fast schon kindische Betrachtungsweise. Schließlich geht es uns nichts an, was ein Beschenkter mit seinem Geschenk macht. Aber das stellen wir hier auch gar nicht in Frage. Es ist eher so, dass es verletzend ist, keine Wertschätzung für das zu erhalten, was man von Herzen gibt. Wer von Herzen gibt, hat die Hoffnung, seinem Gegenüber eine Freude zu machen. Wir wollen, dass der Beschenkte einen Mehrwert bekommt. Dass er glücklich ist. Wir wollen nicht aus egoistischen Gründen, dass das Geschenk benutzt wird. Viel eher wollen wir, dass es jenen gut geht, die wir beschenken.

Im Alltag heißt das: Wenn du einem Kind ein Spielzeug kaufst und dabei zusiehst, wie das Geschenk in der Ecke landet, tut das weh.

Nun stelle ich mir die Frage: Wie muss es sich anfühlen, jemandem etwas so Kostbares wie das Leben zu schenken und dann dabei zuzusehen, wie dieses Leben nicht genutzt wird? Das muss unendlich frustrierend und verletzend sein.

Ich bin nicht religiös. Aber ich gehöre definitiv auch nicht zu denen, die das Leben für einen blanken Zufall halten. Das Leben ist ein so außerordentliches Wunder, dass es nahezu unmöglich ist, nicht die Handschrift Gottes in all den großen und kleinen Wundern zu erkennen, die täglich um uns herum geschehen. Dabei meine ich mit „Gott“ nicht den biblischen Gott mit weißen Haaren und Rauschebart, sondern das, was immer du dir unter „Gott“ vorstellen magst. Im Grunde spielt es keine Rolle, ob Gott, das Universum, das Schicksal oder wer auch immer hinter all dem hier steckt. Fest steht, dass das Leben uns von irgendetwas oder irgendjemandem geschenkt wurde.

Also, wenn mir bereits der Gedanke wehtut, dass etwas so Unbedeutendes wie ein kleines, gekauftes Geschenk keine Wertschätzung erfährt, wie schmerzhaft muss es dann sein, zu sehen, wie das Geschenk des Lebens nicht genutzt wird?

Das Leben mag hart sein, aber es ist auch wunderbar und faszinierend. Es steckt voller Möglichkeiten und birgt mehr Potenzial als jeder von uns glaubt. Nach diesem Potenzial zu streben, ist eine aufregende Lebensaufgabe, die niemals ihren Reiz verliert, trotz der Höhen und Tiefen, die das Leben mit sich bringt.

Wie ich diesem Gedanken begegnete

Es war der Winter 2012, ich war 21 Jahre alt und verdiente den größten Teil meines Lebensunterhalts als Taxifahrer. Ich hatte das Glück, dass mein Arbeitgeber erst kürzlich ein brandneues Fahrzeug gekauft hatte: Eine vollausgestattete Limousine der Mercedes E-Klasse. Das machte nicht nur Spaß, sondern eröffnete auch die Option, sogenannte „Premium-Fahrten“ zu bekommen. Nur zum besseren Verständnis: Es gibt Personen und Unternehmen, die bei der Taxizentrale anrufen und explizit darauf bestehen, in einem besonders hochwertigen Fahrzeug gefahren zu werden. So bekam ich hin und wieder die Chance auf lukrative Aufträge. Zurück zur Geschichte!

Eines Nachmittags fragte jemand in der Taxizentrale ein Premium-Fahrzeug mit einem englischsprachigen Fahrer an. Da ich beide Kriterien erfüllte, bekam ich den Auftrag. Ich sollte nach Brüssel (Belgien) fahren, um dort einen geistlichen Würdenträger aus Kenia am Flughafen abzuholen. (Für alle, die sich gerade wundern: Ich komme aus Aachen, das liegt direkt an der belgischen Grenze.)
Glücklich über die Gelegenheit, aus der Stadt zu kommen, machte ich mich auf den Weg. Wenige Stunden später saß mein Fahrgast auf der Rückbank meines Fahrzeugs, und wir fuhren gemütlich zurück nach Aachen.

Der Bischof aus Kenia war der angenehmste Gesprächspartner, den ich bis zu diesem Zeitpunkt meines Lebens kennengelernt hatte. Er hatte eine unglaublich warme und ruhige Ausstrahlung, und ein sehr herzliches Lächeln. Mir fiel sofort auf, wie gewählt er sich ausdrückte. Er hatte eine ruhige Art zu sprechen und wählte seine Aussagen sorgsam. Dabei war er jedoch keineswegs steif oder blasiert. Er begegnete mir auf Augenhöhe und bedankte sich freundlich dafür, dass ich den weiten Weg gekommen war, um ihn abzuholen. Bei unserer zweieinhalbstündigen Autofahrt hatten wir reichlich Gelegenheit, uns zu unterhalten. Wir sprachen im wahrsten Sinne über Gott und die Welt. Ich erklärte ihm meine Sichtweisen über Religion, und er bereicherte mich mit vielen wertvollen Gedanken über Gott, das Leben und seinen persönlichen Draht zu beidem. Ich war sehr neugierig und stellte zahlreiche Fragen über das Leben in Kenia. Im Gegenzug wollte der Bischof mehr über mich, mein Leben in Deutschland und meinen Werdegang erfahren.

Ich erzählte ihm, dass ich den inneren Wunsch hegte, mehr aus mir zu machen, aber keinen Weg fand. Dass ich deshalb Taxi fuhr und auf einen Studienplatz wartete, in der Hoffnung, dadurch ein wenig Perspektive zu finden.
Er fragte mich: „Bist du zufrieden mit deiner Situation? Fährst du gerne Taxi?“
Meine Antwort lautete: „Nein, ehrlich gesagt fahre ich nicht gerne Taxi. Aber ich brauche das Geld. Von irgendetwas muss man ja leben.“

Daraufhin machte der Bischof große Augen. Er schüttelte mit dem Kopf und sagte zu mir: „Sieh dich an! Sieh dir an, womit du gesegnet wurdest. Du bist ein kluger, gesunder, gutaussehender Mann. Du wurdest in einem der sichersten Länder der Welt geboren. Du hast ein gutes Herz. Du hast alles, was du brauchst, um glücklich zu sein. Gott hat dir ein mächtiges Geschenk gegeben. Enttäusche ihn nicht. Zeig ihm, dass du dieses Geschenk zu schätzen weißt. Zeig es dir selbst.“

Rückblickend bereue ich, dass mir damals die emotionale Reife fehlte, um angemessen darauf zu antworten. Die Tragweite dessen, was dieser Mann in jenem Moment sagte, wurde mir erst zu einem späteren Zeitpunkt meines Lebens bewusst. In diesem Moment jedoch, damals im Winter 2012, zwang ich mich zu einem höflichen Lächeln. Ich war enttäuscht und dachte, der Mann habe gut Reden. Mein Leben fühlte sich nach allem anderem als einem Geschenk an, und ich glaubte auch nicht daran, irgendein Privileg von Gott bekommen zu haben.

Als wir am Ziel angekommen waren, nahm der Bischof meine Hand in seine beiden Hände und bedankte sich herzlich für die Fahrt, meine Zeit und die angenehme Unterhaltung. Er sagte: „Ich hoffe, dass unsere Begegnung dir so viel bedeutet wie mir.“ Eine Aussage, mit der ich überhaupt nichts anfangen konnte. Dennoch lächelte ich freundlich, bedankte mich ebenfalls und stieg wieder ins Auto.

Etwa 14 Monate später, als ich mit Verlust, Depressionen, Angststörungen und anderen Niederlagen kämpfte, hielt ich es für die beste Option, mein Leben zu beenden. Ich sah keinen anderen Weg. Ich konnte nicht sehen, dass das Leben mir noch irgendetwas Positives bieten könnte. Darüber hinaus glaubte ich, nicht genügend Kraft für auch nur einen einzigen weiteren Tag zu haben. Inmitten meiner negativen Gedankenspirale tauchte die Erinnerung an meine Begegnung mit dem kenianischen Bischof auf. Ich fragte mich, wie er dem Leben gegenüber so positiv sein konnte, obwohl er aus noch schwierigeren Verhältnissen als ich kam. Dann fiel mir wieder ein, dass er das Leben als Geschenk betrachtete. Ich erinnerte mich an das, was er mir gesagt hatte. Zum ersten Mal beschäftigte ich mich intensiv mit der Frage, warum glückliche Menschen das Leben als Geschenk betrachten, und zum ersten Mal begegnete ich der simplen Antwort darauf: Weil es ein Geschenk ist.

Mir wurde etwas sehr Wichtiges klar: Das Leben ist ein Wunder. Jeder von uns ist ein Wunder. Das Leben ist besonders, ebenso wie wir. Aber das, was wir Menschen aus dem Leben machen, ist nur selten besonders. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass wir so oft unglücklich sind. Wir funktionieren von Tag zu Tag, ohne zu erkennen, was für ein Wunder wir täglich erleben. Mir wurde klar, dass auch ich nur existierte und funktionierte, aber nicht lebte. Also stellte ich mir vor eine Wahl: Entweder würde ich es mir leicht machen und mein Leben beenden, oder ich würde herausfinden, was es bedeutet, zu leben. Ich nahm das Geschenk an, das mir gegeben wurde. Der Rest ist Geschichte.

Es muss nicht leicht sein

Ich würde lügen, wenn ich dir sagte, seitdem sei das Leben immer leicht gewesen. Aber ich kann reinen Gewissens sagen, dass mein Leben seither niemals langweilig war. Jeder Tag ist eine Lektion. Jeder Tag ist ein weiterer Schritt auf der Suche nach Bestimmung, Bedeutung und Potenzial. Es geht nicht darum, immer glücklich zu sein, denn so funktioniert das Leben nicht. Es geht darum, weiterzumachen und das Geschenk zu nutzen, das uns gegeben wurde.

Der Glaube daran, ein unglaubliches Geschenk bekommen zu haben, für das wir die Verantwortung tragen, ist eine starke Säule meiner Lebensphilosophie. Ich hoffe, dass du nun besser nachvollziehen kannst, warum ich so denke, und wie ich zu dieser Erkenntnis kam.

In der Hoffnung, auch dir etwas Inspiration und Perspektive gegeben zu haben, verabschiede ich mich für heute. Ich wünsche dir einen wunderschönen Tag.

 

Es ist schön, dass du dabei bist.
Michael

 

Titelbild: Unsplash.com, Joshua Earle